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Evolution

Evolution

Titel: Evolution
Autoren: authors_sort
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rötlichem Sand. Sie erklomm eine
kleine Anhöhe und erblickte ein träge schwappendes
Gewässer, das bis zum Horizont sich erstreckte. Die Luft roch
seltsam: nach Salz und Ozon.
    Sie hatte die Nordküste des großen Meers erreicht, das
ins Herz Nordamerikas stach. Sie sah, wie große Gebilde
träge die Wasseroberfläche durchstießen.
    Und im Südwesten, wo die Sonne aufging, hing der Komet am
Himmel. Sein Kopf war eine milchige Masse, aus der gewaltige
Fontänen perlweißer Gase sprudelten. Der Komet wurde
sichtlich größer. Der doppelte Schweif, der von der Sonne
weggerichtet war, schlang sich als verwirrende wabernde Masse um die
Erde. Es war, als ob man in das Mündungsfeuer einer
doppelläufigen Schrotflinte geschaut hätte. Die
spektakuläre Lichtshow wurde vom seichten Meer reflektiert.
    Müde stolperte sie vorwärts und stieg zu einem schmalen
abschüssigen Strand ab. Die Küste war mit Muschelschalen
und halb getrocknetem Seetang übersät. Sie probierte das
Zeug, aber der Seetang war faserig und salzig. Und sie roch das Salz
im Wasser. Zu trinken gab es hier nichts.
    Sie fühlte sich zunehmend exponiert, als ob sie von einem
Scheinwerfer angestrahlt würde.
    Sie machte einen Farn aus, der nicht mehr als einen Meter hoch
war. Sie wankte dort hin und legte die Wurzeln frei, in der Hoffnung,
einen provisorischen Bau errichten zu können. Aber der
feinkörnige Sand rieselte immer wieder in die Gräben
zurück, die sie aushob. Als die rote Sonne sich über den
Horizont erhob, gelang es Purga schließlich, ein Loch zu
graben, das groß genug war, um ihr Deckung zu bieten. Sie zog
den Schwanz an, bedeckte das Gesicht mit den Pfoten und schloss die
Augen.
    Die Wärme und Dunkelheit des Baus erinnerten sie an das
Zuhause, das sie verloren hatte. Aber der Geruch passte nicht. Sie
roch nichts als Salz und Sand, Ozon und modrigen Seetang: den
intensiven Geruch dieses Orts, wo Land und Meer aufeinander trafen.
Der heimische Bau hatte nämlich nach ihr gerochen, nach
dem anderen, der ihr Gefährte war, und nach den Jungen, die wie
eine Mischung aus ihr und ihrem Gefährten gerochen hatten –
eine wundervolle Melange. Doch das alles war nun unwiederbringlich
verloren. Sie verspürte einen Anflug von Bedauern, obwohl ihrem
Bewusstsein die Kapazität fehlte, den Grund dafür zu
erkennen.
    Während sie den langen Tag verschlief, scharrte und kratzte
sie mit den Beinen im körnigen Sand.
     
    Die Erde der Kreidezeit war eine Welt der Ozeane, flacher Meere
und Küsten.
    Ein großes Meer namens Tethys – eine Verlängerung
des Mittelmeers – trennte Asien von Afrika. Europa war kaum mehr
als ein Archipel verstreuter Inseln. Die Wüste Sahara war
Meeresboden. Die Welt war warm; so warm, dass es keine Eiskappen gab.
Und seit achtzig Millionen Jahren stieg der Meeresspiegel. Nachdem
der Superkontinent Pangäa auseinander gebrochen war, hatte die
Kontinentaldrift eingesetzt, und bei der Bildung großer
Kalkriffe und Schelfe vor den Küsten waren große Mengen
fester Materie in die Meere geschoben worden. Das war in etwa damit
zu vergleichen, als ob man Steine in einen vollen Wassereimer gelegt
hätte. Infolgedessen hatten die überlaufenden Meere die
Kontinente überflutet. Aber die großen flachen Meere
hatten fast keine Gezeiten und nur einen schwachen Wellengang.
    Das Meeresleben war reicher und vielgestaltiger als zu jedem
anderen Zeitpunkt in der langen Erdgeschichte. Große
Planktonwolken trieben im Wasser und sogen das Sonnenlicht ein.
Plankton war der Ursprung der langen Nahrungskette der
Meeresbewohner. Und im Plankton lebten mikroskopisch kleine Algen,
die Haptophyten. Nach einer kurzen ›Freischwimmer‹-Phase
hüllten die Haptophyten sich in winzige filigrane Panzer aus
Kalziumkarbonat. Und nach ihrem Tod sanken dann Milliarden winziger
Kadaver in die warmen Meeresböden, wo sie sich ablagerten und zu
einem komplexen weißen Stein aushärteten: Kalk.
    Schließlich bedeckten mächtige kilometerdicke Schichten
aus Kalkstein Kansas und die nordamerikanische Golfküste,
überzogen die Südhälfte Englands und schoben sich
sogar bis nach Norddeutschland und Dänemark vor. Menschliche
Wissenschaftler bezeichneten dieses Zeitalter wegen dieser Monumente,
der von Plankton geschaffenen Kalkformationen als Kreidezeit.
     
    Als das Licht vom Himmel verschwand, verließ Purga ihre
Unterkunft.
    Sie stapfte mühsam durch den Sand, in den sie mit jedem
Schritt einsank und der manchmal um sie herum aufstob. Sie war
ausgeruht.
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