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Everlasting

Everlasting

Titel: Everlasting
Autoren: Holly-Jane Rahlens
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Solingen denken musste, die im Museum der Europäischen Kulturen ausgestellt waren, nicht weit von seiner Wohnanlage in Berlin. Faszinierend.
    Er musste lächeln. Was für ein Vergleich! Aber Rouge hatte wirklich schon immer etwas Gefährliches, beinaheRaubtierhaftes an sich gehabt, ganz so als wäre sie kurz davor, ihn in eine Falle zu locken, ihn mit ihren langen Gliedmaßen zu fangen und bei lebendigem Leibe zu verspeisen.
    «Du lächelst», stellte Rouge fest.
    «Was führt dich eigentlich her?», wollte er wissen.
    «Ein Gefallen. Für deine Universität. Für die Bibliothek.»
    «Die Universität Greifswald? Die haben dich geschickt? Hierher?»
    «Sie sind in Sorge, du könntest kündigen. Und nach Nordamerika zurückgehen.»
    «Recht so!», sagte er. «Die letzten drei Monate haben diesen Übersetzer regelrecht
bonkers
gemacht!»
    «
Bonkers

    «Irre. Verrückt. Nordamerikanisch, 1940er Jahre, Herkunft unbekannt.»
    «Schreibung?»
    «
B-o-n-k-e-r-s

    «
Bonkers »
, sagte sie, als probiere sie das Wort an und drehe sich damit vor dem Spiegel. «Und?», fragte sie dann. «Warum
bonkers

    «Wir mussten die computergenerierten Übersetzungen dieser Bank-Geschäftsberichte auf Interpunktion überprüfen. Reines Korrekturlesen! Man sollte eigentlich meinen, die Programme hätten inzwischen Grammatik gelernt. Und das Zeug ist dermaßen langweilig!»
    Finn war ausgebildeter Übersetzer aus dem Neuen Standardmandarin und aus der toten Sprache Deutsch ins Englische. Außerdem war er Spezialist für das Entschlüsseln handschriftlicher Texte in Deutsch und Englisch, und darüber hinaus ein hochqualifizierter, wenn auch chronischunterforderter Historiker für die Alltagskultur der Jahre 1950   –   2018, der Periode unmittelbar vor dem Zeitalter des Dark Winter. «Die sollen uns die Werke der Weltliteratur zum Übersetzen geben», sagte er, «nicht die ‹Aufstellung der im Konzern erfassten Erträge und Aufwendungen für das erste Quartal 2017› der Deutschen Bank. Wen interessiert’s, ob es darin vor Interpunktionsfehlern nur so wimmelt?»
    Rouge lachte. «Du bist Junior-Historiker, Finn. Das ist dein Job.»
    «Und du bist Junior-Physikerin. Musst du deshalb unter einem Baum sitzen und abwarten, bis dir ein Apfel auf den Kopf fällt, ehe du über Schwerkraft nachdenken darfst?»
    Rouge lachte wieder. Sie hatte zwar wenig eigenen Humor, war aber leicht zum Lachen zu bringen. Wenn sein BB nicht abgeschaltet gewesen wäre, hätte er sich den Witz notiert. Jetzt würde er ihn vielleicht vergessen.
    «Aber alle haben gesagt, die Geschäftsberichte seien ein Weltkulturschatz», wandte Rouge ein.
    Gewiss, die Berichte hatten Aufsehen erregt, als sie 2260, vor vier Jahren, aus fünfzig Metern Tiefe ausgegraben worden waren, direkt an der Stelle, wo einst die Zentrale der Bank in Frankfurt gestanden hatte. Die Archäologen waren dort auf ein paar Metallaktenschränke gestoßen, randvoll mit deutschsprachigen Geschäftsberichten. Dass sie den Großen Feuersturm von 2050 überhaupt überlebt hatten, war wie ein Wunder. Denn der Große Feuersturm hatte zwar den Kontinent von der Deutschen Pest befreit, aber auch die Kultur Europas fast restlos vernichtet.
    «Diese Bankberichte ein Weltkulturschatz? Unsinn!», entgegnete er.
    «Ist ja gut.» Sie stützte sich auf die Ellbogen und blickte hinauf in die Sterne. «Ist ja gut.»
    Auch Finn lehnte sich zurück. «Aber die in Greifswald haben dich doch bestimmt nicht von Berlin in einen verschlafenen New Yorker Strandort geschickt, bloß weil sie Angst haben, einen Junior-Historiker zu verlieren.»
    «Richtig», sagte sie und streckte die langen Beine wieder aus.
    «Also, warum bist du hier?»
    Sie schaute ihm direkt ins Gesicht. «Baltische Archäologen in Stralsund haben auf der Halbinsel Fischland-Darß einen Fund gemacht.»
    «Einen Fund gemacht?», wiederholte er und setzte sich wieder auf.
    «Ein Köfferchen. Staubdicht. Luftdicht. Wasserdicht. Allesdicht. Wie man sie im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert auf Booten benutzt hat. Es lag auf dem Grund des Saaler Boddens bei Wustrow.»
    «Auf dem Grund des Boddens?» Das war absurd. Der Bodden war völlig flach und nicht ansatzweise zu vergleichen mit einem richtigen Meer, in dem man versunkene Schiffe und ihre Schätze vermuten konnte.
    Die Boddenlandschaft, eine Reihe von salzhaltigen Seen mit Verbindung zum Meer entlang der südlichen Ostseeküste, einst Rastplatz für Zugvögel und Naturschutzgebiet, hatte im
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