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Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Titel: Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
Autoren: Anna Carey
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hinunter waren es ungefähr dreißig Kilometer. »Das sollten wir in zwei Tagen schaffen«, sagte ich und lief los. »Vielleicht sogar in weniger.«
    Caleb war schon in Bewegung, er musterte den Himmel. »Hoffen wir, dass das Wetter hält.« Beim Aufstieg zog er die Jacke um sich und schob die bloßen Hände unter die Achseln. Mir fielen von der Höhe die Ohren zu. Die Steigung machte das Atmen schwer, trotzdem lief ich weiter. Vom Wegrand hob ich einen verwitterten Stock auf, auf den ich mich stützte.
    Im Laufen aßen wir Ananas und Birnen aus der Dose, der kalte Saft rann uns durch die Kehlen. Caleb erzählte mir von seiner Familie: dass sein Vater bei der Lokalzeitung gearbeitet und manchmal große Kartons mit nach Hause gebracht hatte, aus denen er sich Spielhäuser im Garten bauen konnte. Ich erzählte ihm von dem kleinen Haus mit den blauen Schindeln, in dem ich aufgewachsen war. Und dass nur ich in den Kriechkeller passte, dessen Wände aus dickem rosa Dämmmaterial bestanden. Ich erzählte ihm von dem Tag, als ich am Briefkasten stand, den Holzpfosten mit den Fingern umklammerte und der Laster das Viertel abfuhr. Calebs Vater war zur Apotheke gegangen und nie zurückgekehrt. Da seine Mutter und sein Bruder krank waren, radelte er durch die Straßen und suchte nach seinem Vater, bis die marodierenden Banden in der Dunkelheit herauskamen. Als er schließlich zu Hause ankam, lebte seine Familie nicht mehr und die Totenstarre war bereits eingetreten.
    »Ich habe drei Tage dagesessen und meine Mutter im Arm gehalten. Die Soldaten haben mich gefunden, als sie die Häuser stürmten, und dann ins Lager gebracht.« Meine Füße bewegten sich zwar weiter und stiegen den steilen Abhang hinauf, doch in Gedanken war ich bei Caleb in jenem Haus und strich ihm über den Rücken, während er weinte.
    Eine Weile liefen wir schweigend bergauf; unsere Finger waren miteinander verschlungen und rot vor Kälte. Wir waren ungefähr acht Kilometer gelaufen, als winzige weiße Kristalle vom Himmel fielen. Sie sammelten sich in den Falten meiner Jacke.
    »Ist das …« Ich streckte die Hand aus, weil ich das kalte Gefühl auf meiner Handfläche toll fand. »… Schnee?« Ich hatte Schnee immer nur aus der Ferne gesehen, auf Bergspitzen oder Buchseiten.
    Caleb betrachtete die dünne Schicht, die die Straße wie ein Laken bedeckte. »Ja, das ist Schnee und er fällt schnell.« Ohne sich weiter darum zu kümmern, lief er zügig weiter.
    Sein Tonfall sagte mir, dass es ernst war, aber ich stand einfach da und starrte auf die weißen Pünktchen auf meiner Hand. Ich dachte an die Schneemänner und Festungen und Iglus, die in meinen Kindergeschichten vorgekommen waren.
    Wenige Minuten später kam starker Wind auf. Die Schneeflocken wurden dichter und größer und lagen bald zentimeterdick auf der Erde. Ich spürte die eisige Kälte durch meine Kleider, der Pullover war nicht warm genug, auch meine Jacke nicht. Die Turnschuhe an meinen Füßen ebenso wenig. Der Wind ließ meinen Körper erzittern und riss Caleb die Kapuze vom Kopf, seine Haare kamen zum Vorschein.
    »Wir müssen das Zelt aufbauen.« Wir zogen die Zeltplane aus der Hülle und mühten uns ab, die Heringe in den harten Boden zu schlagen. Weil das Schneegestöber immer dichter wurde und die Flocken auf meinen Wangen hängen blieben und mir die Sicht erschwerten, schaffte ich gerade mal einen Hering.
    Caleb hämmerte mit einem Hering auf den anderen, doch das Metall verbog sich. Nach einer ganzen Weile zitterte mein ganzer Körper vor Kälte, ich konnte nicht mehr. »Lassen wir es doch einfach so. Wir müssen jetzt darunterkriechen.«
    Ich zog die Plane von der einzigen stabilen Zeltstange auf den Boden und beschwerte sie mit einigen Felsbrocken. Mit der Felswand auf der Rückseite bildete sie einen kleinen dreieckigen Raum. Ich kroch schnell unter die Zeltplane, Caleb kam hinterher. Wir hatten nicht viel Platz, aber wir waren von allen Seiten geschützt und hatten einen kleinen Aufschub von dem Sturm.
    »Wie lange wird es dauern?«, fragte ich. Meine Hände waren schon ganz taub. Die Kälte kroch die Ärmel hinauf.
    Caleb schob die Kapuze wieder über den Kopf. Auf seinen Haaren lag Schnee. »Ich weiß nicht. Vielleicht die ganze Nacht.« Er zog mich an sich und legte mir den Arm um die Schultern. Sein anderer Arm umschlang mich. Sofort war mir wärmer und ich sah ihn an.
    Meine Atemzüge wurden langsamer; meine Angst ließ nach; mein Oberkörper zitterte nicht mehr. Caleb
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