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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge
Autoren: Karin Fossum
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Atemzug, und das Knistern der Plastikplane, die neben der Leiche ausgebreitet wurde.
    »Ich frage mich«, murmelte Karlsen, »ob wir endlich Einarsson gefunden haben.«
    Die Brieftasche des Mannes war verschwunden. Aber seine Armbanduhr war noch da, eine billige Uhr mit viel Schnickschnack, wie der Zeit von Tokio, New York und London. Der schwarze Riemen hatte sich in das geschwollene Handgelenk eingegraben. Die Leiche hatte ziemlich lange im Wasser gelegen und war vermutlich von der Strömung weiter oben im Fluß mitgetragen worden, deshalb war die Fundstätte nicht weiter interessant. Trotzdem wurden einige Untersuchungen angestellt, sie suchten das Ufer nach möglichen Spuren ab, fanden aber nur einen leeren Plastikkanister, der Frostschutzmittel enthalten hatte, und eine leere Zigarettenschachtel. Inzwischen hatten sich oben auf dem Uferweg einige Zuschauer eingefunden, zumeist junge Leute; sie reckten die Hälse und versuchten, wenigstens einen kurzen Blick auf die Leiche auf der Plane zu erhaschen. Die Verwesung war in vollem Gang. Die Haut hatte sich vom Körper gelöst, vor allem an Füßen und Händen, es sah aus, als trage er zu große Handschuhe. Und der Tote hatte sich schlimm verfärbt. Die Augen, die einst grün gewesen waren, waren jetzt durchsichtig und farblos, seine Haare gingen büschelweise aus, das Gesicht war dermaßen aufgedunsen, daß die Züge verschwammen. Was es im Fluß ansonsten an Leben gab, Krebse, Fische und Insekten, hatte gierig zugelangt. Die Messerstiche in der Seite hatten klaffende Wunden im grauweißen Fleisch hinterlassen.
    »Hier habe ich früher immer geangelt«, sagte einer der Jungen oben auf dem Weg, er hatte in seinem ganzen siebzehnjährigen Leben noch keinen Toten gesehen. Er glaubte eigentlich nicht an den Tod, ebensowenig wie an Gott, weil er beides nie gesehen hatte. Er bohrte das Kinn in seinen Jackenkragen und schüttelte sich. Von nun an war alles möglich.
    ---
    V ierzehn Tage später lag der Obduktionsbericht vor. Hauptkommissar Konrad Sejer hatte sechs Personen ins Besprechungszimmer gebeten, das in einer der Baracken hinter dem Gericht lag. Sie waren erst in den letzten Jahren aufgrund von Platzmangel errichtet worden, eine Reihe von Büros, die für die Allgemeinheit verborgen waren, mit Ausnahme der unglücklichen Seelen, die in engeren Kontakt zur Polizei gerieten. Einiges war bereits geklärt. Sie wußten, wer der Mann war, das hatten sie übrigens sofort feststellen können, da er einen Trauring mit dem eingravierten Namen Jorun trug. Ein Ordner aus dem Oktober des Vorjahres enthielt alle Informationen über den vermißten Egil Einarsson, achtunddreißig, Rosenkrantzgate 16, zuletzt gesehen am 5. Oktober um neun Uhr abends. Er hinterließ eine Frau und einen sechs Jahre alten Sohn. Der Ordner war schmal, würde bald aber an Umfang zunehmen. Die neuen Fotos machten da schon einiges aus, und schön waren sie nicht. Eine Reihe von Personen war nach seinem Verschwinden verhört worden. Seine Frau, Kollegen und Verwandte, Nachbarn und Freunde. Niemand hatte viel zu erzählen. Er war nicht das bravste Kind seiner Mutter, hatte aber auch keine Feinde gehabt, jedenfalls war über Feinde nichts bekannt. Er arbeitete in der Brauerei, kam jeden Abend nach Hause an den gedeckten Tisch und verbrachte seine Freizeit hauptsächlich in seiner Garage, wo er an seinem geliebten Auto herumbastelte, oder zusammen mit Kumpels in einer Kneipe auf dem Südufer. Die Kneipe hieß Zum Königlichen Wappen. Entweder war Einarsson ein Unglückswurm, vielleicht war er einem Desperado zum Opfer gefallen, der dringend Geld brauchte und der die Möglichkeiten dieser kalten, windigen Stelle erkannt hatte – das Heroin hatte die Stadt jetzt endgültig im Griff. Oder Einarsson hatte ein Geheimnis. Vielleicht hatte er Schulden gehabt.
    Sejer betrachtete den Bericht aus zusammengekniffenen Augen und kratzte sich den Nacken. Er war immer beeindruckt davon, wie die Gerichtsmedizin eine halbverrottete Masse aus Haut und Haaren, Knochen und Muskeln analysieren und sich ein vollständiges Bild von dem Toten machen konnte. Von Alter und Gewicht und Körpermaßen, Gesundheitszustand, früheren Krankheiten und Operationen, Gebiß und Erbanlagen.
    »Reste von Käsemasse, Fleisch, Paprika und Zwiebeln im Magen«, sagte er laut. »Klingt wie Pizza.«
    »Kann man das nach einem halben Jahr noch feststellen?«
    »Ja, Himmel. Wenn die Fische nicht zu gierig zugegriffen haben. Das kommt auch vor.«
    Der
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