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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge
Autoren: Karin Fossum
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die Jugendlichen hinter dem Tresen an, mit ihren roten Mützenschirmen und den roten kurzärmligen Hemden, sie arbeiteten in einem Wahnsinnstempo. Der Essensgeruch erhob sich hinter dem Tresen wie eine Wand, der Geruch von Fett und gebratenem Fleisch, von geschmolzenem Käse und Gewürzen stieg ihr in die Nase. Aber die Jugendlichen selber schienen unberührt von der schweren Luft, sie rannten hin und her, wie emsige rote Ameisen, und lächelten bei jeder neuen Bestellung optimistisch. Das hier hatte kaum Ähnlichkeit mit Evas eigenem Arbeitstag. Meistens stand sie mit verschränkten Armen mitten in ihrem Atelier und starrte feindselig die aufgespannte Leinwand an. An guten Tagen starrte sie aggressiv und ging zum Angriff über, voller Autorität und Übermut. Ein seltenes Mal verkaufte sie ein Bild.
    »Eine Juniortüte«, sagte sie rasch. »Und Chicken, und zwei Cola. Und könnten Sie einen Aladdin dazutun, bitte, der fehlt ihr nämlich noch?«
    Die Frau machte sich an die Arbeit. Ihre Hände drehten und brieten, packten und falteten, und das alles blitzschnell. Emma reckte hinten in der Ecke den Hals und ließ ihre Mutter nicht aus den Augen, als die endlich mit dem Tablett schwankend auf sie zukam. Eva zitterten plötzlich die Knie. Sie ließ sich auf den Stuhl sinken und sah verwundert zu, wie ihre Tochter sich eifrig bemühte, die kleine Pappschachtel zu öffnen. Sie suchte nach der Überraschung. Ihr Freudenausbruch war ohrenbetäubend.
    »Ich hab’ Aladdin gekriegt, Mama!« Sie hob die Figur in die Luft, um sie dem ganzen Lokal zu zeigen. Alle sahen zu ihr herüber. Eva schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte laut auf.
    »Bist du krank?«
    Emma war plötzlich sehr ernst und versteckte Aladdin unter dem Tisch.
    »Nein, doch – ach, ich bin einfach nicht gut drauf. Das legt sich bald wieder.«
    »Tut dir der tote Mann leid?«
    Eva fuhr zusammen.
    »Ja«, sagte sie dann einfach. »Der tote Mann tut mir leid. Aber über den reden wir jetzt nicht mehr. Nie mehr, hörst du, Emma! Mit niemandem! Das macht uns doch nur traurig.«
    »Aber meinst du, der hatte Kinder?«
    Eva wischte sich mit den Händen die Tränen ab. Sie wagte kaum noch, an die Zukunft zu denken. Sie starrte ihre Hähnchenwürfel an, die teigigen braunen, in Fett gebackenen Klumpen, und sie wußte, daß sie sie nicht essen würde. Wieder flimmerten die Bilder an ihr vorbei. Sie sah sie durch die Zweige des Mandelbaums.
    »Ja«, sagte sie schließlich und wischte sich noch einmal das Gesicht. »Vielleicht hatte er Kinder.«
    ---
    E ine ältere Dame, die ihren Hund ausführte, entdeckte plötzlich zwischen den Steinen den blauweißen Schuh. Wie Eva ging auch sie in die Telefonzelle an der Brücke. Als die Polizei eintraf, stand sie leicht unbeholfen mit dem Rücken zur Leiche am Ufer Posten. Ein Polizist namens Karlsen stieg als erster aus dem Wagen. Er lächelte höflich, als er die Frau sah, und betrachtete neugierig ihren Hund.
    »Das ist ein chinesischer Nackthund«, erklärte die Frau.
    Es war wirklich ein faszinierendes kleines Vieh, sehr rosa und sehr runzlig. Oben auf dem Kopf hatte es einen fetten Quast aus schmutziggelbem Fell, ansonsten war es, wie die Frau richtig gesagt hatte, nackt.
    »Wie heißt der denn?« fragte Karlsen freundlich.
    »Adam«, war die Antwort. Karlsen nickte lächelnd und holte den Koffer mit der Ausrüstung aus dem Wagen. Der Tote machte ihnen eine Zeitlang zu schaffen, aber schließlich konnten sie ihn ans Ufer ziehen und dort auf eine Plane legen. Er war kein Schwergewicht, er sah durch die lange Zeit im Wasser nur so aus. Die Frau mit dem Hund ging ein Stück von ihnen weg. Die Polizisten arbeiteten leise und sorgfältig, der Fotograf machte Bilder, ein Gerichtsmediziner kniete neben der Plane und machte Notizen. Die meisten Todesfälle hatten triviale Ursachen, die Polizei rechnete mit einer Routinesache. Vielleicht ein Suffkopp, der ins Wasser gefallen war, nachts gab es auf den Spazierwegen und unter der Brücke einige von der Sorte. Dieser hier war irgend etwas zwischen zwanzig und vierzig, schlank, aber mit Bierbauch, blond, nicht besonders groß. Karlsen streifte sich einen Gummihandschuh über die rechte Hand und hob vorsichtig einen Hemdenzipfel an.
    »Messerstiche«, sagte er kurz. »Mehrere. Wir drehen ihn mal um.« Sie verstummten. Das einzige, was zu hören war, war das Geräusch der Gummihandschuhe, die abgestreift und wieder angezogen wurden, das leise Klicken des Fotoapparates, ab und zu ein
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