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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge
Autoren: Karin Fossum
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gepflegte Haus auf den ersten Blick. Die Eingangspartie war ein Chaos aus Dreirädern, Lastwagen und Plastikschlitten jeder Art, die die Kinder wahllos aus Kellern und Dachböden angeschleppt hatten. Der nackte Asphalt war nach einem langen Winter immer verlockend. Sejer parkte und klingelte.
    Nach einigen Sekunden stand sie in der Tür, mit einem dünnen Jungen am Rockzipfel.
    »Frau Einarsson«, sagte Sejer mit einer leichten Verbeugung. »Darf ich hereinkommen?« Sie nickte kurz und widerwillig, aber es gab nicht viele Menschen, die mit ihr sprachen. Sejer stand ziemlich dicht vor ihr, sie spürte seinen Geruch, eine Mischung aus Jackenleder und diskretem Parfüm.
    »Ich weiß nicht mehr als im letzten Herbst«, sagte sie unsicher. »Abgesehen davon, daß er tot ist. Aber darauf war ich ja vorbereitet. Ich meine, so, wie das Auto ausgesehen hat …«
    Sie legte den Arm um den Jungen, wie, um sie beide zu beschützen. »Aber jetzt haben wir ihn gefunden, Frau Einarsson. – Und dann sieht alles doch ein bißchen anders aus, finden Sie nicht?«
    Er verstummte und wartete.
    »Es war wohl ein Verrückter, der Geld brauchte.«
    Sie schüttelte verstört den Kopf. »Seine Brieftasche ist ja verschwunden. Obwohl er nur hundert Kronen hatte. Aber heutzutage wird ja noch für viel weniger gemordet.«
    »Ich verspreche Ihnen, mich kurz zu fassen.«
    Sie gab auf und ging rückwärts über den Flur. Sejer blieb in der Wohnzimmertür stehen und sah sich um. Immer wieder registrierte er mit einem gewissen Erschrecken, wie ähnlich sich die Menschen waren, das sah er in ihren Wohnzimmern, daran, womit sie ihre Zimmer füllten. Überall sah es gleich aus, dieselbe Symmetrie, Fernseher und Video als eine Art Mittelpunkt für das restliche Inventar. Hier kroch die Familie zusammen, um sich zu wärmen. Frau Einarsson hatte eine rosa Sitzgruppe aus Leder, unter dem Tisch einen weißen Flokati. Es war ein feminines Zimmer. Sie war seit sechs Monaten allein, vielleicht hatte sie sich in dieser Zeit der maskulinen Seiten des Zimmers entledigt, falls es welche gegeben hatte. Damals wie jetzt konnte er keine Spur von Sehnsucht finden, oder von Liebe zu dem Mann, den sie im schwarzen Flußwasser gefunden hatten, durchlöchert und grau wie ein alter Schwamm. Das, was es an Verzweiflung gegeben hatte, hatte sich um andere Dinge gedreht, um praktische Fragen. Wovon sie jetzt leben und wie sie einen neuen Mann finden sollte, wo sie sich doch keinen Babysitter leisten konnte. Er war niedergeschlagen von dieser Überlegung. Sie brachte ihn dazu, sich das Hochzeitsbild über dem Sofa genauer anzusehen, ein ziemlich protziges Bild derjungen Jorun mit gebleichten Haaren. Neben ihr stand Einarsson, mit schmalem, blassem Gesicht, wie ein Konfirmand, unter der Nase ein spärlicher Schnurrbart. Sie posierten nach besten Fähigkeiten für einen mittelmäßigen Fotografen, und sie achteten dabei vor allem auf ihr Aussehen. Und nicht aufeinander.
    »Ich habe noch ein bißchen Kaffee«, sagte sie unsicher.
    Er nahm dankend an. Es war vielleicht gut, etwas in der Hand zu halten, und sei es nur der Henkel einer Tasse. Der Junge trottete hinter seiner Mutter her in die Küche, betrachtete Sejer aber verstohlen vom Türrahmen aus. Er war dünn, hatte ein paar Sommersprossen auf der Nase, sein Pony war zu lang und fiel ihm die ganze Zeit in die Stirn. In wenigen Jahren würde er aussehen wie der Mann auf dem Hochzeitsbild.
    »Ich habe deinen Namen vergessen«, Sejer lächelte aufmunternd.
    Der Junge behielt seinen Namen noch eine Weile für sich, zog mit der Turnschuhspitze Kreise auf dem Linoleumboden und lächelte verlegen.
    »Jan Henry.«
    Sejer nickte. »Jan Henry, ja. Kann ich dich etwas fragen, Jan Henry – sammelst du Anstecknadeln?«
    Der Kleine nickte. »Ich habe schon vierundzwanzig. An meinem Zimmermannshut.«
    »Dann hol den mal«, Sejer lächelte. »Dann kriegst du noch eine. Und die hast du bestimmt noch nicht.«
    Der Kleine verschwand und lief in sein Zimmer. Er kam mit dem Hut auf dem Kopf zurück, der Hut war viel zu groß. Andächtig nahm er ihn ab.
    »Die stechen auf der Innenseite ganz schrecklich«, erklärte er. »Deshalb kann ich den Hut nicht tragen.«
    »Schau mal«, sagte Sejer. »Ein Polizeianstecker. Den habe ich von Frau Brenningen auf der Wache. Ganz schön gut, findest du nicht?«
    Der Junge nickte. Er suchte den Hut nach einem Ehrenplatz für die kleine goldfarbene Nadel ab, entfernte dann resolut eine mit Kristin und Håkon auf
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