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Eva Indra

Eva Indra

Titel: Eva Indra
Autoren: Bis aufs Blut
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Zeitverschwendung!“, hatte er nur zu oft gesagt. Demzufolge war sie um so mehr überrascht gewesen, als er vor einem Jahr die Villa in Lecce gekauft hatte. Sie hatte einfach nicht damit gerechnet, doch bei Leonard wusste man nie genau, woran man eigentlich war. Leonards Charakter war mit seinen sechsundfünfzig Jahren deutlich zur vollen Blüte gereift oder sollte man sagen verblüht, denn all seine so lobenswerten Eigenschaften hatten sich ins Extreme entwickelt: Seine hohe Sensibilität in eine unerträgliche Überempfindlichkeit, sein Humor in eine permanente Launenhaftigkeit, seine Intelligenz in eine egoistische Selbstbeweihräucherung und sein Sinn für schöne Dinge in eine absolute Abneigung zu allem Hässlichen. All‘ das, was ihn früher zu einem angesehenen Kunstexperten machte, verwandelte sich in eine komische Marotte, denn je älter Leonard wurde, desto besessener sammelte er mehr und mehr Kunstschätze. Er war einer der wenigen, die sich einen Namen in dieser Branche gemacht hatten. Für Anna war er ein Sammler, doch Leonard hatte dieses Wort natürlich nie gebraucht. Seiner Meinung nach kaufte er diese kostbaren Schätze, damit er sie um einen höheren Preis wieder verkaufen konnte. Tatsache war aber, dass er das schon lange nicht mehr tat. Das Haus in London, wie auch das in Italien, waren überladen mit Kunstschätzen, nur Anna war schon lange keine mehr. Irgendwann einmal musste sie wohl ein wertvoller Teil in seinem Leben gewesen sein - in diesem Glauben lebte sie zumindest für eine Weile. Es ergab sich ganz unvorhergesehen, dass sie sich in ihn verliebte. In einen Mann, der über dreißig Jahre älter war als sie selbst.
    Doch trotz dieses enormen Altersunterschiedes hatte Leonard ihr Herz im Sturm erobert. Nicht nur, weil er sie mit Komplimenten und Geschenken überschüttete, sondern auch, weil er sie intellektuell herausforderte. Denn seit dem Moment, an dem er sie in der Gosse vor dem Nachtklub aufgelesen hatte, war kein Tag mit ihm vergangen, an dem sie nicht ihr Wissen durch das seine erweitert hatte. Kurzum, er wurde zu ihrem Mentor in allen Lebenslagen, er gab ihrer hart errungenen Bildung den letzten Schliff und er war es, der ihr Interesse für die Kunst weckte, die sie bislang nur belächelt hatte. Deshalb bewunderte sie ihn, sah zu ihm auf, respektierte und liebte ihn.
    Dessen ungeachtet war ihr dennoch in all dieser Zeit nur zu deutlich bewusst, dass er ihre Liebe kaum erwiderte. Entweder konnte er seine Gefühle nicht artikulieren oder er hegte überhaupt keine für sie. Bewunderung ja, er bewunderte Anna wie eine
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    gemeißelte Statue auf einem Podest. Doch diese Einsicht zermürbte Anna letztendlich so sehr, dass sie Minderwertigkeitskomplexe bekam, die ihr die Unbeschwertheit nahmen. Die Erwartungen an den anderen wurden mit einem Male nicht mehr erfüllt und während Leonard diesen Konflikt heldenhaft mit sich selbst austrug, hatte Anna aufgehört, an sich selbst zu glauben.
    Diese Reise nach Italien stand wohl ursprünglich unter dem guten Stern, die Sache noch einmal einzurenken, doch das Fass war schon zum Bersten voll gewesen, noch ehe sie auf dem Flughafen in London waren. Die explosive Spannung zwischen Leonard und ihr auf dem Flug nach Rom war kaum auszuhalten. Es war nichts Besonderes vorgefallenen, aber der Umstand, dass Leonard nicht gerne reiste und es manchmal bis zu einer Woche brauchte, bis er sich an eine neue Umgebung akklimatisiert hatte, konnte einfach nicht geändert werden. Deshalb versuchte Anna erst gar nicht seine Missmutigkeit zu ändern, die sich auf der Autofahrt von Rom nach Lecce fortsetzte und die schließlich in einer handfesten Auseinandersetzung eskalierte, noch bevor sie den ersten Schritt in die Villa gesetzt hatten. Leonard verschwand gleich nach der Ankunft beleidigt in seiner Bibliothek, während Anna ermattet ins Bett kroch. Instinktiv hatte sie darauf gewartet, dass er doch noch zu ihr ins Bett kommen würde, doch später musste sie wohl die Müdigkeit übermannt haben und sie war eingeschlafen. Das war wahrscheinlich besser so, denn Leonard war überhaupt nicht zu Bett gekommen.
    Schlaftrunken und nackt schlich Anna am nächsten Morgen die Stufen zum Wohnzimmer hinunter. Die Türen zur Terrasse waren weit geöffnet und als Anna auf den Terrassentisch sah, wusste sie, dass Leonard fort war: Eine leere Whiskyflasche deutete auf eine von Leonards schlaflosen Nächten hin. Er versuchte sich immer, doch immer
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