Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
Autoren: Constanze Petery
Vom Netzwerk:
ich? Was, wenn sie schwanger wäre an meiner Stelle?
    Noch hatte sie keine Zeit, sich bei einer Freundin Ratschläge zu holen, was mit einer schwangeren minderjährigen Tochter zu tun ist, aber sie macht jetzt schon alles falsch. Sie hat sich zu oft mit den Bürofreundinnen unterhalten und kann gar nicht anders, als so verdammt korrekt in der Küche zu stehen und den Tisch mit buntem Porzellan zuzustellen. Gestreifte Kaffeetassen und gepunktete Teller. Eierbecher. Marmeladengläser. Was das Kind jetzt braucht, unter diesen Umständen. Falsch. Alles falsch.
    Mit meiner grauen, heißen Haut passe ich nicht in diese skandinavisch durchdesignte Fröhlichkeit. Ich will die Marmelade nicht essen. Meine Mutter sagt: »Setz dich«, und ich gehorche. Kann eh nicht stehen. Ich habe zu viel gefressen die letzten Tage, jetzt kann ich nicht mehr. Sie setzt sich, die Kaffeekanne in der Hand, fragt nicht, ob ich welchen will, schenkt mir und sich selbst ein. Was wir jetzt brauchen, um stark zu sein. Wenn ich aber nicht stark sein will? Wieder Kaffee statt Liebe. Statt zu sprechen. Es reicht.
    »Wir brauchen noch Milch«, sagt sie und stützt sich auf der Lehne ihres Stuhls ab wie eine alte Frau. Sie dreht ihren Kopf über die Schulter in Richtung Kühlschrank und erhebt sich halb.
    »Es reicht«, sage ich.
    Sie setzt sich wieder, dreht den Kopf nach vorn, lässt ihn auf die Brust sinken.

    »Wir müssen reden«, fange ich an und wundere mich, woher der Mut kommt, das auszusprechen.
    »Ich bin froh, dass du das einsiehst«, meint sie und kränkt mich damit. Wer sieht was ein? Was soll das heißen? Eins zu null. »Wir werden unsere Zukunft jetzt gemeinsam planen müssen«, fährt sie fort.
    »Du meinst, die Zukunft meiner Tochter mit mir.« Sie zieht die Luft scharf durch die gespitzten Nasenflügel ein. Eins zu eins. Ab jetzt wird scharf geschossen.
    »Anita, es ist dir hoffentlich klar, dass es da keine Zukunft geben kann. Du kannst dieses Kind nicht aufziehen.« Bonuspunkt für ihre Klarheit.
    »Und warum nicht? Weil du versagt hast, schließt du von dir auf mich?« Der gehört mir.
    »Was willst du damit sagen?« Ihre Stimme könnte Südafrika vereisen lassen.
    »Du hast versagt. Dein Mann hat dich sitzenlassen, und mich hast du auch verloren.« Dein Mann, nicht mein Vater. Ich, nicht deine Tochter. Stirb.
    Ich kann in ihren Pupillen sehen, wie sie die Pistole zieht und entsichert. Sie zielt. »Weißt du, was Aspiration ist, Anni?«
    Kann mich eine Antwort noch retten?
    »Nein?«
    Es nützt nichts, sie drückt ab. »Du wirst den Embryo absaugen lassen, Anita.«
    Warum hat sie Nadja getroffen? Warum denn nicht mich? Warum kann ich denn nicht Nadja retten?
    Warum kann ich nicht dableiben und zurückschießen und zusehen, wie sie verblutet, und lachen und durchdrehen?
    Ich renne aus der Küche und rieche nach Versager. Der Flur führt direkt ins Bad. Ich muss mich waschen, muss das
alles wegmachen, den ganzen Schmutz, das hat doch angefangen mit den langen Beinen und dem Kaffeelikör, den muss ich doch runterspülen können. Nadja muss weg. Ich ziehe alles aus und bin nackt und sehe meinen Bauch. Scheiße, man sieht es doch. Doch, man sieht es. Scheiße.
    Ich hole ein Handtuch von dem Stapel auf dem Badschrank und lege es mir zum Abtrocknen bereit. Ich bin so ekelhaft.
    Ich schiebe die Glastür der Dusche auf und stelle mich auf die kleinen runden Mosaikkacheln.
    So ätzend.
    Ich drehe das Wasser voll auf, so heiß, wie es geht. Nadja muss weg.
    Versager.
    Stell dir vor, deine Mutter bringt dich um. Stell dir vor, du bist tot.
    Kannst du es dir vorstellen, Nadja?

18
WUNDERLAND
    Das Wasser prasselt wütend, laut und heiß. Es rauscht in meine Ohrmuscheln, wo nur eine dünne Hautschicht es von dem ebenso gewaltsamen Blutstrom trennt, der als schäumende Welle an die Knorpelmauer schlägt und zurück in die Schläfen. Ich kann nicht denken, denn jeder Gedanke wird ergriffen vom Sog meiner Verwirrung und fortgerissen, es bleibt nur die Ahnung eines Einfalls, der vielleicht ein Damm gewesen wäre gegen die Wucht in meinem Gehirn, hätte er nur gehalten. Aber ich verliere sie alle, die Gedanken und meinen ganzen Verstand, sie gurgeln durch meine Finger in den Abfluss, weg, weg die Hoffnung, die mich zu dem Gespräch geführt hatte, ich hätte nicht vertrauen dürfen. Man wird doch nur wieder enttäuscht. Ich drehe den Hahn auf Heiß, bis zum Anschlag, und spüre doch nichts. Meine Tränen sind heißer. Sie verbrennen meinen Körper, wenn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher