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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
Autoren: Constanze Petery
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Stiefel, die Socken und Hosenbeine saugen es gierig auf, das Gehen fällt schwerer, man weiß plötzlich gar nicht mehr, warum man so mechanisch weitergeht. Jetzt stehen bleiben und sich ganz den Elementen überlassen – nehmt mich, macht mich so grau wie den Himmel und die Pflastersteine, drückt mich auf den Asphalt und schleudert mich auf die Windschutzscheiben, reißt mein Gesicht an den Haarwurzeln auseinander, damit ich frei bin, heraus kann aus diesem Körper, aus diesem Leben.
    Ich schließe die Augen und warte darauf, von einem Blitz getroffen zu werden.
    Ein Mann im Trenchcoat glotzt mich an. Ich genieße die Aufmerksamkeit nicht. Ich wünschte, er würde mich in Ruhe lassen, dies geht nur mich und den Himmel etwas an. Aber er kann nicht verschwinden, keiner kann mir aus dem Weg gehen, das starre System der Wohnblockquadranten lenkt immer wieder jemanden an mir vorbei, nur ein paar Menschen, aber auch die sind mir zu viele, ich will niemandem in die Augen blicken müssen, will auch nicht ausweichen müssen, will sein können, ohne eine Reaktion zu provozieren,
sei es Ignoranz oder Mitleid, Aggression oder Scham. Auf solche Gefühle muss man nämlich wiederum reagieren, und dazu bin ich nicht mehr imstande.
    Ich bin schwach.
    Angepasst an den Trott der anderen Weitergepeitschten, senke ich meinen Blick.
    Auf den versetzt eingepflanzten grauen Steinplatten versuchen die Flocken verzweifelt, Zuckerwatte zu bilden, leicht und luftig, ästhetisch und poetisch. Aber wie die Finger eines zuckerhungrigen Kindes drücken Stiefel, Reifen und faustdicke Tropfen, die sich auf den Dächern anstauen, um dann platschend auf dem Gehsteig zu landen, die wattierte Schicht nieder. Zuerst zu einer festen Schneeplatte, die sich in den kleinen Ritzen in den Sohlen meiner Winterstiefel verfängt und als Pulverschnee zerbrochen hinter mir herstäubt. Würde mir jemand folgen, er könnte sagen, welche Schuhe ich trage, Marke und Größe, könnte vielleicht sogar herausfinden, ob ich schnell laufe, schlurfe oder über den Matsch schwebe. Wenn nicht sofort die Wärme des Bodens, die nachkommenden Flocken und trampelnden Menschen alles auslöschen würden. Wenn mein Weg sich nicht in schmutziges Eiswasser und morgen wohl schon in Dampf in der weiten, weiten Sphäre auflösen würde. Dann wäre ich auffindbar.
    So wird niemand wissen, wo meine Schritte mich hinführen. Weiß ich es denn selbst?
    Details verraten es mir. Die Steinplatten werden älter, herbere Kanten und breitere Ritzen, gefüllt mit Erde, erzählen von Pferdehufen und Schnallenschuhen, von Kindermädchen und Sonntagsspaziergängern, von Eiscremewagen und Luftballonverkäufern. Von Parkkultur.
    Ich muss nicht aufblicken, um die Wiesen vor mir zu sehen, die Pagoden aus Bäumen und Büschen, die Heckenmauern
und die Kieswege, die vom gepflasterten Hauptstrom wie Bäche abzweigen und sich durch die Landschaft schlängeln, um sich irgendwo zwischen einem Fußballfeld und einem Studententreffpunkt zu verlieren. Ich weiß, dass nun die Natur ihre Laken über abgestorbene Halme gebreitet hat, an denen noch die Erinnerung an karierte Picknickdecken aus rauer Wolle, nackte Zehen, an Lachen, Volleyballspielen und leichte Lektüre mit übereinandergeschlagenen Beinen hängt. Eine Ahnung von Sommer.
    Der Park schläft. Und schreit im Traum nach anderen Geräuschen als dem Keifen einer Krähe, das eine scheinbar jahrhundertealte Stille zerreißt. Der Neuschnee ist vielleicht doch Staub. Keiner wischt ihn weg, er lagert sich in allen Ecken ab, in die ihn der Wind treibt und aus denen er ihn wieder kratzt und lockt. Windhosenartig steht er senkrecht über den Ebenen, dreht abrupt bei und peitscht mir ins Gesicht.
    Ich öffne meine Lippen. Die einzelnen Fäden des Sturms stechen auf meine Zunge ein. Sie wird taub. Die Kälte fließt meine Kehle hinab, unendlich gut, ein Drink, wie ich ihn noch nie geschmeckt habe, so klar und doch berauschend. Wenn ich meine Augen schließe, kann ich mir vorstellen, wieder in einem Club zu sein, auf der besten Party der Stadt, so wie damals, als ich noch nicht wusste, noch nicht wissen musste, was es heißt, verantwortlich zu sein. Die Helligkeit irrlichtert wie ein Discoblitzlicht auf meinen inneren Augenlidern, zuckt im Rhythmus der Melodien, die ich nie vergessen habe und die mir immer in den Gliedern stecken werden, ein tiefer Bass unter ekstatischem Gehämmere, laut und lebendig. Das tauende Eis auf meinen Brauen könnte Schweiß sein, die
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