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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
Autoren: Constanze Petery
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ganz strukturiert vorgehen. Den Fußballen aufsetzen, abrollen und weiterlaufen und den Atem in Dampfwölkchen ausstoßen, nur nicht aufregen, es ist alles gut, alles klar, es ist sinnvoll, was ich tun will, eben beschlossen habe, es ist das einzig Sinnvolle, was ich seit langem tun wollte, endlich bin ich aufgewacht, oder? Ich bin doch wach, oder? Weitergehen. Zwischen schwarzen Baumstämmen blitzt grelles Licht hindurch, Lichtsäulen, die fleckige Muster auf den Boden werfen. Ich schleiche über ein Mosaik aus zerfetzten, angefressenen Blättern und Lichtstücken, hell, einfach oder mehrmals durch sich überschneidende Äste gefiltert, die ein Kathedralendach über mir bilden. Requiem aeternam. Ewige Ruhe, bitte jetzt, bitte schnell, reg dich nicht auf, Anita. Geh weiter. Dort ist das Wasser. Weiße Lichtteppiche reflektieren die blendenden Strahlen direkt in meine Augen, verwirren mich, und ich bleibe mit einem unsicheren Fuß an einer Wurzel hängen. Beinahe falle ich. Konzentriere dich, fixiere den Boden und folge dem Wissen, dass da das Wehr liegt, du kannst es noch nicht sehen, aber keine Angst, es ist da, wo soll es sonst sein, es ist da, alles ist wahr, du träumst nicht, du bist hier. Bin ich hier? Vor meinen Augen tanzen Blutstropfen wie rostige Schmetterlinge, in meinen Ohren wird das Sausen immer unerträglicher, mach es doch weg, hol es
aus meinem Hirn raus, press es raus, mach es weg. Es ist das Wasser, das kann ich nicht wegmachen. Das Wasser brauche ich noch. Das kann nicht weggehen. Ich habe Angst. Ich habe so verdammt Angst. Keiner wird mich abhalten. Und ich kann nicht mehr aufhören. Ich habe angefangen. Das muss ich jetzt durchziehen. Also weitergehen. Trockene Zweige peitschen mir ins Gesicht und zerkratzen mir die Wangen, doch es kümmert mich nicht, ich sehe nur den Boden mit seinem Lichtspiel und den Eisblumen, den Kristalldiamanten aus erstarrtem Wasser, die in den aneinandergedrückten Blättern stecken. Ich sehe nicht, wohin ich gehe, sondern nur, wie ich dorthin komme. Über den Himmel komme ich. Ich muss schweben, fliegen, also doch träumen. Nein, das ist der Boden, denk daran: Du bist im Park, am Fluss, der ist da vorne, und da kommt jetzt gleich das Wehr. Unabwendbar. Ich bin wehrlos. Los, geh weiter und versuche, nicht hinzufallen. Ich lalle laut. Aber es ist keiner da, der schauen kann, ich kann mich trauen und haue raus, was anfällt. Die Welt ist grell und hell.
    Reiß dich zusammen, Anita. Da ist das Wehr. Ich bin parallel zum kiesigen Ufer, dessen Lehm heute direkt in das grüngraue Wasser übergeht, den Flusslauf entlanggestolpert und habe die Entfernung überschätzt. Ich bin schon da. Und habe meine letzte Zeit mit solchem Hirndurchfall vertan. Was bin ich für ein Idiot.
    Ich werde bald sterben. Das weiß ich, als ich es schaffe, meine übliche Neigung zu Schwindelanfällen zu überwinden und auf einen Betonzacken zu steigen, der plötzlich aus dem gefrorenen Blätterboden sprießt, wächst und wächst und schließlich zu einer der Brüstungen des Wehrs wird, zwischen denen der vom Anblick der Wasserwut unter ihm
gebannte Spaziergänger gehen kann. Ich selbst bin bisher nur so nah an der Brüstung gewesen, wie es meine Höhenangst zuließ, was oft nicht sonderlich nah war, da ich entweder zu vertieft in ein Gespräch mit jemandem war, um den Fluss auch nur eines Blicks würdigen zu wollen, oder – sollte ich mich allein auf der Brücke des Wehrs befunden haben – es kaum aushielt, von der exakten Mitte des Wehrs abzuweichen, weil dann sofort jenseits der grauen Betonseiten das Wasser in seinem tiefen Grün, Türkis, Blau, Silber und Schwarz, darin Schlieren aus weißem Schaum, mich unweigerlich abstieß und gleichzeitig grausam anzog. Diesen Sog hatte ich immer vermeiden wollen. Jetzt werde ich mich ihm aussetzen. Ihm in die Augen sehen. Soll er mich doch fordern. Ich komme ja gerne zu ihm. Ich komme!
    Der Betonzacken beginnt in einer sachten Steigung, und obwohl der obere Rand von Frost und Regen zerfressen ist, fällt es mir nicht allzu schwer, darauf zu balancieren. Ich muss mich nur weiter konzentrieren, darf die Augen nicht von den porösen Rändern und der ungleichmäßigen Oberfläche lassen, darf nicht mit dem Blick dem Geräusch des immer lauter werdenden Brausens folgen, darf nur lauschen und gehen, einen Fuß vor, Zehen abrollen, dann den Ballen, heben, aufsetzen, abrollen, heben, immer weiter, nur weiter, und schau dich nicht um. Du könntest wieder Angst
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