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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition)
Autoren: Péter Esterházy
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blickte triumphierend in die Runde.
    Vorhin hast du Paradies gesagt. Habe ich das? Lapsus linguae.
    Es wurde still. Im Kaffeehaus ist die Stille schwer. Esti sagte gedankenverloren, ja, das Paradies, der unendliche Paradiesapfel … obwohl der Vater an einem Punkt des Spiels länger regungslos liegen blieb, vulgo: gestorben war, wie der Rhythmus des Spiels das hatte ahnen lassen.
    Wir sagten kein Wort, alterten, in großer Ruhe, glaubten, wir hätten viel Zeit, praktisch unendlich viel.

Die große Chance der Endlichkeit
    T otale Sonnenfinsternis!, Esti erwachte aus seiner vorübergehenden Lethargie, das war ein Ding! Wir hatten sogar einen Sonnenfinsternisoberschirmherrn. Nennt mir ein Land, meine schändlichen Brüder, das je einen Sonnenfinsternisoberschirmherrn gehabt hätte! Er genoss das Wort wie sonst die Kabanos. Ein kleines Land momentan, doch wir tun, was sich gehört.
    Wie Márai bedauerte er sich mit großer seelischer Kraft: In diesem Land gibt es nichts, nur Missverständnisse. Aber, aber, Marcsi, Esti klopfte Márai auf die Schulter (der abgesehen von der eigenen Klasse, der christlichen Mittelschicht, diese beiden Dinge am meisten hasste, dieses Marcsi und die Schulterklopfkumpanei), jetzt sage ich, was es alles gibt. Es gibt das »es gab« oder es gab das »gab es nicht«! Esti war schon betrunken.
    Er war trunken, um es mit einem vor langer Zeit gehörten Wort zu sagen, das ich gestern gehört habe (von Dottoressa Cserkaszegi, aber das ist nicht von Bedeutung). Ich bin bis auf meinen eigenen Absinth gesunken, er zwinkerte, das billig Menschliche und die unübersetzbaren Wortspiele waren ihm nie fremd. Erinnert ihr euch?, das Verhalten der Tiere änderte sich, die Hühner quakten, die Pferde blökten, die Kühe waren stumm. Und die Nachrichtensprecher lächelten uns schelmisch an und sagten uns ins Gesicht, Frau Luna sei außerordentlich gierig.
    Zwei, drei, vier, wir wiederholten im Chor: Frau Luna ist außerordentlich gierig. Meine Lieben, geben wir zu, wir könnten tagelang gierig an unserem Schreibtisch sitzen, auch dann wären wir nicht in der Lage, uns so etwas Wunderschönes auszudenken. Weine nicht, Marcsi. Und ein italienischer Bischof äußerte sich, die unruhigen Gläubigen sollten sich beruhigen, es werde nichts geschehen, was nicht Gottes Wille sei. Das hatte einen in der Tat sehr beruhigt.
    Und als damals die Sonne verschwand, Frau Luna verschlang sie tatsächlich gierig, standen wir im unheilschwangeren Zwielicht auf der großen Terrasse, einer von uns, ein dahergelaufener Ästhet, rief kämpferisch, das heißt höhnisch und zögernd: Noch eine Chance! Noch eine Chance! Esti zeigte mit seinem üblichen Grinsen, das dich hegt und hüllt, in die Runde, als wäre das alles irgendwie ihm zu verdanken, wir haben es bekommen, also freut euch.
    Und wir freuten uns.
    Mag sein, dass es banal ist, aber diese Freude ist Estis Leben.

Liebe
    … seine Bar zeit, besser, Barpianistinnenzeit. Lili, ein Künstlername, so hieß die Barpianistin der Barpianistinnenzeit. Ein phänomenaler Bauch wölbte sich unter ihren phänomenalen Brüsten, ein ausgesprochen männlicher Bierbauch. Sie trug kurze Hemden, Trikots, Oberteile, Luftiges, wie sie sagte. Bewundern Sie, Kornéllein, bewundern Sie mein kleines Luftiges? Beides, liebe Lili, woraufhin die Frau Esti eine Ohrfeige gab, dass es nur so schallte. Alles, was sie tat, war kräftig oder alles an ihr bewegte sich aus Kraft, strahlte Kraft aus. Wie sie aß (beileibe, sie fraß), wie sie trank (beileibe, sie soff), wie sie mit Männern flirtete, wie sie Klavier spielte. Esti ließ den Blick in der Tat lange auf Lilis Luftigem ruhen – wie das nach einer Weile immer (immer!) den Bauch hochrutschte, es begann behutsam hinaufzuklettern, und so entstand der den Blick fesselnde weiße Streifen über der Hose. Ein schwarzer Flaumpfad führte an der Rundung des Bauches hinab.
    Es gab eine Zeit, als Esti hier seine der Nacht sich zuneigenden Abende verbrachte. Drinnen Rauch- und Cognacgeruch, draußen der reinigende Sturm des Sozialismus, so ungefähr. Lilis Ordinarität bestand darin, alles auszusprechen, was ihr in den Sinn kam, und in den Sinn kamen ihr vorwiegend Leibesdinge, egal was, angefangen beim Stoffwechsel bis zur geschlechtlichen Vermehrung, und das äußerte sie auch sogleich mit jener rauen, verrauchten Reibeisenstimme. So kämpfte sie gegen den Kommunismus.
    Esti saß direkt neben dem Klavier, gebannt betrachtete er die über die Tasten huschenden
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