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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman
Autoren: Insel Verlag
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zeichnete dann mit seinem Daumen sanft ihre Unterlippe nach.
    Luise schloss die Augen. Kein Widerstand mehr.
    Â»An deinem Geburtstag ist mir klar geworden, dass ich mich vielleicht beeilen sollte mit dem Mutigsein, damit du merkst, dass sich ein zweiter Blick lohnt.« Seine Stimme war leise, sehr leise, und nah, wie seine Lippen, an ihrem Ohr, den Hals entlang und dann Mund auf Mund, und die Zeit zerfloss wie die Grenzen, nur Atem, nur Haut, eine halbe Ewigkeit und ein Hauch von Zitrone und Baiser, ein zartes Kratzen seiner Wange. Luise spürte, wie sich ein Mantel aus Glück um sie legte. Weich und warm. Versinken wollen. Da klingelte das Telefon, und der Anrufbeantworter teilte in voller Lautstärke mit, dass sie nicht daheim sei. Ein Knacken in der Leitung:
    Â»Hallo Luise, hier ist Raphael. Danke für deine Nachricht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, dass du mich sehen willst. Auch ohne Kochen. Ort und Zeit passen. Bis bald, schöne Köchin.«
    Während Raphaels Stimme durch die Wohnung wehte, war Markus erstarrt. Er ließ Luise los, als hätte er sich verbrannt. Sein Gesicht verzerrt, wie nach einer Ohrfeige. »Scheint so, als wäre ich doch nicht schnell genug gewesen«, stellte er tonlos fest. »Ich denke, ich gehe jetzt besser. Bevor ich mich noch lächerlicher mache. Der Auftrag ist erledigt, und du hast alles, was du wolltest. Du kommst klar.« Er nahm den Autoschlüssel.
    Â»Markus. Bitte!« Luise versuchte, ihn zu berühren, ihn zurückzuhalten, doch er winkte nur ab und ging ohne ein weiteres Wort.
    â€‚Zuckerguss
    Es klingelte dreimal, bevor Luise die Tür öffnete. Anne runzelte die Stirn über das Wesen, das ihr gegenüberstand. Blass, tiefe Augenränder, Mehl in den Haaren und rosafarbener Zuckerguss auf dem Schlafanzug.
    Â»Was ist denn mit dir los?«, fragte sie, bekam jedoch keine Antwort. Als sie in die Küche trat, blieb sie wie angewurzelt stehen. »Das darf nicht wahr sein!«
    Luise zuckte mit den Schultern. Sie hatte sich gestern Abend so müde gefühlt, dass sie, ohne sich zu waschen, in ihren Pyjama geschlüpft und ins Bett gekrochen war. Nur um dort die ganze Zeit wach zu liegen. Weder heiße Milch
mit Honig noch Baldriandragees halfen. Markus' SMS , die mitten in der Nacht angekommen war, hatte ihre düstere Stimmung nicht verbessert. Statt zu antworten, hatte sie ihre Nase in ihren Haaren versteckt, in denen hartnäckig ein leichter Zitronenduft hing, der sie nur noch trauriger machte. Irgendwann war sie aufgestanden, um Kamillentee zu kochen.
    Eine Ecke des Küchentisches war voll von noch warmen Muffins. Daneben lagen Brownies mit weißer Schokolade, Brownies mit dunkler Schokolade und Brownies mit Pecannüssen. In der Mitte des Tisches ergoss sich ein Strom von Cantuccini. Auf der anderen Tischhälfte gab es in fröhlich-bunten Papierförmchen ein über die Ufer tretendes Meer von Cupcakes mit himmelblauer, mit weißer, mit rosafarbener Glasur. Ein paar trugen kleine Zuckerblümchen obenauf. Der Backofen war weiterhin in Aktion.
    Â»Sag bloß, du hast da noch mehr drin?«
    Â»Ich habe Hefe gefunden. Es wird Freud-und-Leid-Kuchen. Weißt du, der von meiner Mutter. Mit Zucker und Mandeln.« Luises Stimme klang dünn.
    Â»Seit wann stehst du in der Küche?«, fragte Anne.
    Â»Seit fünf?« Luise war sich nicht sicher, wann die Geräusche im Haus so laut gewesen waren, dass sie die Kitchen Aid ohne schlechtes Gewissen in Betrieb nehmen konnte. »Aber es hilft nichts, weißt du. Es ist nicht wie bei der Berg. Es wird und wird nicht besser. Im Gegenteil.«
    Â»Alles ist gut«, sagte Anne ruhig. »Ich koche jetzt Kaffee, und du erzählst mir, was los ist.«
    Und das tat Luise. In verworrenen Sätzen, die erst nach und nach einen Sinn ergaben. Vom miteinander Kochen. Vom miteinander Reden. Von Händen, die behutsam mit
Wachteln umgingen. Von ihrem Traum vom Kochen, den sie endlich teilen konnte. Von der Heimfahrt. Von Sachen, die nach oben getragen wurden. Vom Zitronenduft an seiner Wange.
    Â»Und dann?«, fragte Anne.
    Luise zuckte wieder mit den Schultern. »Nichts weiter«, war ihr Versuch einer Antwort.
    Â»Nach nichts sieht das hier aber nicht aus«, sagte Anne und steckte sich den nächsten Cupcake in den Mund. Weißer Zitronenguss mit einer kandierten Kirsche.
    Â»Also gut: Dann nicht nichts.« Luise
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