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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman
Autoren: Insel Verlag
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darüber stand offen. Als sie nach oben blickte, konnte sie durch die Dachluke die ersten Sterne erkennen. Sie überlegte, ob sie ihn rufen sollte, aber dann zog sie ihre Schuhe aus und stieg die Leiter empor.
    Die Geräusche der Stadt brandeten an ihr Ohr, als Luise den Kopf halb aus der Luke streckte. Windlichter erhellten einen schmalen Weg, der über das Dach führte. Markus stand in einiger Entfernung am Eckschornstein und blickte über die Häuser. Er hatte Luise nicht bemerkt, und sie verharrte
reglos auf der Leiter, um diesen Moment auszukosten. Markus wirkte so verletzlich, dass es sie tief berührte. Das Abendblau wie ein Rahmen um ihn, Wolkenfetzen wehten über den Himmel, der aufgehende Mond, eine schmale Sichel. Die Luft war lau, ein leichter Wind trug ein Lachen aus der Ferne mit sich und ließ es zwischen den Dächern fallen wie einen Chiffonschal.
    Zu Markus' Füßen lag eine ausgebreitete Decke. Kissen, Gläser, Servietten, ein Picknickkorb. Sie dachte an das Gespräch am Feuer. Erfolg hat nicht das Essen, sondern der, der den Mut hat, sich zu zeigen, und das Risiko eingeht, sich mit seinen Gefühlen zu blamieren. Markus' Kontur hob sich ab gegen das Firmament, sein Gesicht erhellt im Kerzenschein. Kein Lächeln, nur gespannte Stille. Das Branden der Stadt als Hintergrundmusik. Er wartete. Auf sie. Hatte die ganze Zeit gewartet, nicht nur heute Abend. Das wurde ihr plötzlich klar.
    Vielleicht war dies der Moment, in dem sie ihn wirklich sah. Sein Herz lag offen vor ihr. Während sie sich bemüht hatte, ihn zu ignorieren, hatte er sie gesehen. Hatte er sie erkannt. Weihnachten, in ihrer Küche, beim Kochen, in jedem einzelnen Gericht.
    Hier in der Schwebe zwischen Himmel und Erde fühlte sie, wie all ihre verschlungenen Wege sich genau an diesem Punkt trafen, an dem sie jetzt stand. Auf der sechsten Leitersprosse von oben. Sie brauchte einen Augenblick, um den Gedanken zuzulassen. Im Dunkeln zog sie ihr Handy aus der Tasche, wählte seine Nummer. Ein Klingeln ertönte, zehn Meter entfernt am Schornstein. Er schaute auf das Display, unsicher, ein Lächeln.
    Â»Wo bist du?«, fragte er, und sie hörte ihn doppelt. Dicht an ihrem Ohr und gegen den Wind.
    Â»Hier«, sagte sie, nicht in das Telefon, sondern mitten hinein in die Realität. Sie musste sich räuspern, weil ihre Stimme versagte. Dann tasteten sich ihre bloßen Füße die restlichen Sprossen empor, ihre Hände suchten Halt, fanden seine Hände, und dann stand sie oben auf dem Dach, neben ihm.
    Â»Endlich«, sagte er nur, als wäre damit alles gesagt.
    Und dann war sie es, die ihn in den Arm nahm und küsste. Die ihn nicht mehr loslassen wollte. Ihn so fest hielt, als würde sie befürchten, der Wind könnte ihn mit sich nehmen und sie stünde allein da, mit leeren Händen. Jetzt, wo sie so weit gegangen war. Zwanzig Leiterstufen und ein halbes Leben.
    Â»Tut mir leid. Es hat ein bisschen länger gedauert«, sagte sie schließlich.
    Â»Aber nun bist du da.« Er lächelte, nahm sie bei der Hand, und sie folgte ihm zwischen Dachschindeln und Schornsteinen.
    Als sie sich gesetzt hatte, deutete er auf den Picknickkorb. »Magst du?«
    Sie nickte. Erst jetzt merkte sie, wie hungrig sie war. Sie warf einen Blick in den Korb und begann zu lachen. »Du bist konsequent.«
    Â»Aber du musst doch zugeben: du hast die Auswahl. Salami mit Fenchel, Salami ohne Fenchel, Mortadella, Prosciutto di Parma. Sogar ein paar eingelegte Tomaten habe ich. Und Oliven. Mehr als genug. Und noch ein bisschen Melone.« Er verteilte seine Schätze auf Teller.
    Â»Ich bin froh, dass du keine Austern hast«, gestand sie. »Ich hasse Austern.«
    Â»Ich auch.« Lachend reichte er ihr das Brot.
    Sie nahm ein Stück und belegte es mit Fenchelsalami. »Warum sollte ich ausgerechnet bis Viertel nach zehn hier sein?«, fragte sie zwischen zwei Bissen.
    Er sah auf die Uhr. »Weil es jetzt so weit ist«, sagte er und deutete zum Himmel. »Und weil das hier für dich ist.«
    Wie auf sein Stichwort stieg weit über den Dächern eine einzelne rote Signalrakete in die Höhe. Und dann explodierte ein Feuerwerk. Glühende Kaskaden, brennende Leuchtfontänen, ein glitzernder Funkenregen im nächtlichen Blau.
    Für sie. Nur für sie.

Danksagung
    Was wäre Luise ohne Anne, Sybille und Thorben – was wäre ich ohne euch? Von Herzen
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