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Eskandar: Roman (German Edition)

Eskandar: Roman (German Edition)

Titel: Eskandar: Roman (German Edition)
Autoren: Siba Shakib
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von Hodjat gehört, dass es Jinn und Div nicht gibt, würde Eskandar glauben, dieser hier sei ein Geist oder ein Ungeheuer. Wer sonst bläst Rauch aus einem so gewaltigen Mund mit riesigen Zähnen, hat einen derart großen Körper, gelbes Haar und riesige Pranken?
    Fragen Sie den Jungen, wo seine Familie ist, wo er lebt und warum er mitten in der Nacht allein herumläuft.
    Moder dedd, spricht Eskandar dem Farangi nach.
    Statt zu übersetzen, sagt der Moteardjem, wie die einfachen Menschen von Cholera oder Hunger oder beidem dahingerafft werden und wie die Fliegen sterben.
    Let the boy speak.
    Letteboi spiiikk, letteboi spiiikk, wiederholt Eskandar.
    Good boy.
    Gudepoi.
    You learn quick.
    Yuulanqiiick.
    Hör auf mit dem Blödsinn, und erzähl, warum du mitten in der Nacht allein herumirrst, sagt der Moteardjem. Und fass dich kurz, deinetwegen bin ich aus dem Schlaf und einem süßen Traum gerissen worden.
    Eskandar erzählt von der Trockenheit, dem Hunger und den Flecken und Wunden, die seine Brüder und Schwestern bekommen haben, bevor Gott sie zu sich geholt hat. Der Übersetzer macht einen Schritt zurück. Lepra, ruft er. Wundbrand hat seine Familie getötet. Saheb, mit Verlaub, wir sollten den Jungen so schnell wie möglich loswerden. Die Krankheiten dieser Leibeigenen sind ansteckend und gefährlich.
    Are you hungry? Der Ausländer schiebt sich unsichtbares Essen in den Mund.
    Eskandar versteht sofort, reibt seinen Bauch und sagt: Goshne.
    He is goshne, sagt Richard und erteilt dem Übersetzer einen Befehl.
    Der verbeugt sich, rennt ins Küchenzelt und kommt mit Fladenbrot und Schafskäse zurück. Iss, das wird uns den Segen Gottes einbringen.
    Während er sich auf den Boden hockt, stopft Eskandar sich den Mund voll und kaut laut schmatzend und mit halb geschlossenen Augen. Dann legt er seine Hand auf seinen vollen Bauch, legt sich neben die Füße von Mesterr-Richard und die Hunde in den Sand, murmelt, letteboi spiiikk, und schläft ein.

Eskandar löst ein Problem von Mesterr-Richard
     
    Am liebsten würde Richard sich gleich neben den Jungen auf den Boden legen und auch schlafen. Sein Kopf, der Nacken, Arme, Beine, alles an ihm fühlt sich müde und schwer an. Sogar das Blut in seinen Adern scheint dick und zäh zu sein wie das verdammte Petroleum, das er sucht und seit acht Jahren nicht findet. Nacht für Nacht liegt er unter seinem Moskitonetz, nickt erschöpft ein, nur um gleich wieder aufzuschrecken. Es ist das schlechte Gewissen, das ihm den Schlaf raubt.
    Richard gähnt, streckt sich aber nicht, denn auch das verschlimmert nur das Brennen in seinen Schultern. Stattdessen zündet er seine kalte Zigarre noch einmal an.
    Der Koch und die Hilfskräfte werden bald aufwachen und ihre Arbeit beginnen, und die indischen Soldaten, kanadischen und polnischen Ingenieure und Arbeiter und die britischen Vorgesetzten werden nach ihrem Frühstück verlangen. Er selbst muss zurück zu seinen Bohrmaschinen und Bohrlöchern. Es wäre besser, er würde sich hinlegen, selbst wenn er nicht einschlafen kann. Aber Richard bleibt sitzen, deckt den Jungen mit seiner eigenen Decke zu und beobachtet ihn.
    Einmal landet Eskandar mit dem Kopf neben dem großem Stiefel des Farangi, und er stellt sich vor, wie er den kleinen Schädel des Jungen zertreten könnte und er mit einem trockenen Knacken platzen würde wie eine reife Wassermelone. Und ausgerechnet in diesem Augenblick geschieht etwas, worauf der Kanadier seit Monaten gewartet hatte. Er wacht auf.
    Es ist nur für einen winzigen Augenblick, aber ihm kommt es vor, als würden sich Schleier vor seinen Augen auflösen. Richard atmet die reine Morgenluft tief in seine Lungen, schmeckt den abgestandenen Geschmack von Rauch in seinem Mund und spürt das Pelzige auf der Zunge. Beinah kann er hören, wie die Sonne über den Berg steigt und mit ihrer Hitze alles weckt. Und über alledem liegt der gleichmäßige, beruhigende Atem des Jungen. Als bräuchte er später einen Beweis für diesen Moment der Wachheit und Klarheit, schreibt Richard in sein Notizheft.
    15. Januar 1908, vier Uhr morgens, Naftoun, britisches Lager in der Wüste im Süden des Iran. Letzte Glut der Feuerstelle. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wirklich wach. Selbst das Brennen und Stechen in der Schulter ist schwächer. Die Zelte, die Felsen, der trockene Wüstenboden wirken, als würde ich durch eine Lupe blicken und alles zum ersten Mal sehen. So als würde ich die Dinge klarer, wie von einem hellen Licht
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