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Es muss nicht immer Grappa sein

Titel: Es muss nicht immer Grappa sein
Autoren: Grafit
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WC-Schild. Es schickte mich in einen zweiten Raum, der sich hinter einer Schiebetür befand. Ein Saal für größere Feiern, nahm ich an. Es roch muffig und nach Rauch.
    Auch hier waren die Wände mit Fotografien geschmückt. Aber die Fotos waren ein paar Klassen besser als die Ansichtskartenbilder vorn im Restaurant. Sie waren sogar signiert. Einem inneren Hinweis folgend, schaute ich genauer hin: Der Fotokünstler hieß Hein Carstens!
    Ich vergaß, dass ich zur Toilette wollte, und eilte wieder an die Bar. Der Bluthund unterhielt sich mit dem russischen Italiener, der das Bestellte inzwischen gebracht hatte.
    In meinem Glas dümpelte eine Zitronenscheibe, in deren Mitte eine Gewürznelke steckte. Ich trank und hörte dem Gespräch zu.
    » Inkasso Moskau treibt Geld ein«, berichtete der Kellner. »Legale Sache. Die Signori halten hier Versammlungen ab. War Woche gut, wird gefeiert. War Woche schlecht, keine Feier.«
    »Wie groß ist denn diese Truppe?«, fragte Pöppelbaum.
    »Keine Ahnung! Haben auch viele Kumpels und Mädchen. Aber feiern können die, mamma mia! Literweise Wodka und nix passiert. Dann kippen sie plötzlich um – wie gefälltes Pferd. Und sind wach erst acht Stunden später!«
    »Was versteht man denn unter legalem Geldeintreiben?«, mischte ich mich ein.
    »Kennst du Leute, die haben keine Kohle? Kennst du! Kaufen aber trotzdem. Ratenkauf, Internet, Kaufhaus. Verstehst du? Können nicht zahlen, wollen nicht zahlen. Aber bestellte Sachen sind nicht mehr da. Die Firmen kommen zu Inkasso Moskau und verkaufen offene Rechnungen. Kriegen bisschen Geld dafür. Ist besser als nix, oder? Und Inkasso macht Besuch bei säumige Zahler. Entweder kriegen Kohle oder nicht. Eigenes Risiko.«
    »Iwan!«, rief ein anderer Gast zu uns herüber.
    »Iwan?«, grinste ich.
    »Heiß ich hier eben Iwan!« Der Italiener zuckte mit den Schultern. »Früher in deutsche Kneipe ich hieß Hans und in schwedischem Smörebröd-Bistro Harald. Was sind schon Namen?«
    Er ließ uns allein.
    »Hat er was gesagt, was ich noch nicht weiß?«, fragte ich.
    »Nicht viel. Vom Mord an der Schöderlapp hat er was in der Zeitung gelesen. Und über die Enkel weiß er auch nichts. Aber er hat mir jemanden genannt, der die Russen im Land kennt.«
    »Aha!«
    »Boris Gogol. Ein bulliger Kerl aus Moskau. Er ist das, was bei der Mafia Pate genannt wird. Und, jetzt staune, Grappa: Gogol und seine Leute haben sich für heute Abend angesagt. Besser kann es gar nicht laufen.«
    »Aber wie soll ich an den rankommen?«
    »Charmeoffensive?«, griente Wayne. »Du kannst aber auch über seine Füße stolpern oder ein Taschentüchlein fallen lassen. Oder ihn unter den Tisch saufen.«
    »Ich zeig ihm meinen Presseausweis und tue so, als würde ich eine Reportage über das freudlose Leben der Exilrussen in Bierstadt schreiben.«
    Wayne Pöppelbaum nickte bedächtig. »Du kriegst das schon hin, Grappa. Plan I eben. Warten wir einfach ab.«
    Wir bestellten noch etwas zu trinken. Nach zehn weiteren Minuten brummte mein Schädel. Das Publikum war laut und fröhlich – ganz anders als Stammtisch-Deutsche mit ihrem Nörgelwahn. Natürlich waren auch Frauen da. Alles trinkfeste Mädels, denn sie kippten ein Glas nach dem anderen. Seit Opa Pöppelbaums Iwan-Kontakten hatte sich in Russland wohl einiges geändert.
    Manchmal blieben an Wayne und mir Blicke hängen. Nicht ablehnend, allenfalls neugierig. Gefahr drohte uns hier nicht. Jedenfalls nicht im Moment.
    »Ich weiß was, was du nicht weißt«, tat ich kund.
    »Ist es blau?«, versuchte Wayne, witzig zu sein.
    »Scherzkeks! Der Weg zum Klo führt durch einen Saal. Da hängen jede Menge Fotos an der Wand.«
    »Das ist ja furchtbar aufregend, Grappa.«
    »Lass mich doch einfach ausreden.«
    »Na los.«
    »Die Fotos sind sämtlich von Hein Carstens.«
    Wayne schaute verblüfft, doch er kam nicht dazu, seine Überraschung zu verbalisieren. Die Tür des Restaurants wurde von außen aufgerissen. Die Gäste drehten die Köpfe.
    Zwei Männer kamen – nein – platzten in den Saal: der eine groß und bullig, der andere klein und drahtig. Mit Maschinenpistolen im Anschlag ließen sie die Blicke über die Leute streifen. Ich hatte das Gefühl, mich als Statistin in einer Low-Budget-Filmproduktion zu befinden. Bloß nicht grinsen. Und bloß keine dumme Bemerkung. Sonst wirst du von dreißig Kugeln durchsiebt, dachte ich.
    Anscheinend befanden die beiden Gorillas die versammelten Gäste für harmlos. Sie standen stramm und
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