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Es muss nicht immer Grappa sein

Titel: Es muss nicht immer Grappa sein
Autoren: Grafit
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landete auf meiner Hose. Nach drei Stunden ließ der Passagier hinter mir beim Aufstehen seine Zigarre in meinen Ausschnitt fallen. Nach vier Stunden waren sämtliche Toiletten verschmutzt. Ich dachte, per Anhalter wärst du besser unterwegs. Nach fünf Stunden war ich kurz davor, den Notausstieg zu öffnen und über freiem Feld abzuspringen.
    Meine erste Begegnung mit der russischen Küche war ähnlich unharmonisch verlaufen. Während einer Presseveranstaltung anlässlich des Auftritts des russischen Staatszirkus – im Zirkuszelt hatte es einen pompösen Empfang für die Vertreter der kapitalistisch orientierten Presse gegeben – fand ich auf dem Grund der Rote-Bete-Suppe einen Haargummi und in den Blini ein Stückchen Fell. Maus, Ratte oder Maulwurf. Nun hoffte ich, dass sich der Koch im Potemkin europäischen Hygienestandards verpflichtet fühlte.
    Pöppelbaum wartete unweit des Restaurants. Es war gerade noch hell. Wir näherten uns dem Laden. Russische Weisen schluchzten aus den schräg gestellten Butzenglas-Fenstern.
    »Siehst du das Schild dort?«, flüsterte der Bluthund. Ich sah es: Inkasso Moskau.
    »Dann nichts wie rein«, sagte ich, »holen wir uns die ›Enkel‹.«
    Ich wollte die Tür öffnen, doch Wayne drängelte sich vor.
    »Der Iwan mag keine Frauen, die in Kneipen gehen. Die Weiber bleiben entweder zu Hause oder folgen mit drei Schritten Entfernung.«
    »Iwan? Du redest wie ein Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg!«
    »Mein Opa hat Stalingrad überlebt«, erklärte Pöppelbaum. »Keine Familienfeier ist von seiner Iwan-Poesie verschont geblieben. Und er hat wahre Heldentaten vollbracht, mein Opa.«
    »Deshalb haben wir Deutschen den Zweiten Weltkrieg ja auch gewonnen«, meinte ich. »Und du heißt Wayne, weil das so ein urrussischer Name ist?«
    »Nee. Was dem Opa sein Iwan, war meinem Vater der Ami. Er liebte die Szenen in den Western, in denen John Wayne einsam in die untergehende Sonne reitet, nachdem er zehn Schurken ins Jenseits geschickt hat.«
    »Genug geschwelgt«, entschied ich. »Rein da.«
    »Hast du einen Plan?«
    »Klar!«
    »Wie immer?«
    »Logisch, Plan I.«
    »Improvisieren, alles klar.«
    Ich nickte. »Und den Presseausweis zücken wir nur im Notfall, okay?«
    Das Restaurant war gut besucht. Nur in der Mitte war ein großer Tisch frei. Darauf standen einige Vasen mit frischen Blumen. Ein Schild mit dem Schriftzug Reserviert verbot es, sich dort niederzulassen. Auf einem der Stühle lag eine Balalaika.
    Die Luft war zum Schneiden und die Geräuschkulisse zum Weglaufen. Hinter uns fiel ein schwerer Filzvorhang zu. Das Potemkin war eine dunkle Angelegenheit. Die Wände waren mit braun-goldenen Tapeten beklebt und darauf hingen gerahmte Fotos. Sie zeigten die tradierten Symbole Russlands: Schneelandschaften, Blockhäuser, schwarz gekleidete Menschen und die Zwiebelturm-Kathedrale am Roten Platz. Postkartenromantik.
    »Da ist noch ein Platz«, sagte Pöppelbaum und deutete zur Bar. Ich kletterte auf einen blank gerutschten Partystuhl, der Bluthund stellte sich neben mich.
    Der Barmann sah durch uns hindurch, griff zu einem Tuch und polierte auffallend gelassen ein Bierglas. Und dann das nächste.
    Ich winkte dem Mann zu.
    Keine Reaktion.
    »Sag ich doch«, raunte Pöppelbaum.
    »Ich dachte, die Leute verdienen ihre Kohle damit, dass sie Speisen und Getränke verkaufen«, schmollte ich. »Aber wahrscheinlich bringen Schutzgelderpressung, Drogenhandel und Schmuggel mehr ein, als einem deutschen Gast eine Flasche Wasser zu servieren.«
    »Mach bloß kein Theater! Wir wollen schließlich was. Und Barkeeper kriegen immer das meiste mit.«
    Inzwischen hatte der Mann hinter der Bar die Gläser eine Nummer kleiner poliert. Ich lächelte ihm süß zu.
    »Grappa! Du arbeitest ja mit allen Mitteln!«, staunte Wayne.
    »Das ist noch gar nichts«, zischte ich, während ich mich mühte, den Gesichtsausdruck beizubehalten. »Wenn ich mal eine echte Charmeoffensive starte, dann bleibt kein Auge trocken.«
    »Das klappt ja sogar!«
    Der Barmann stand jetzt vor uns und fragte in einem leicht verzerrten Deutsch nach unseren Wünschen.
    »Ich dachte schon, Sie verstünden nur Russisch, junger Mann«, strahlte ich. »Ich hätte gern ein Wasser.«
    »Ich kein Russe, sondern Italiener«, verriet der Mann. »Wollt ihr was essen? Die Küche hat nur noch eine Stunde auf.«
    Wir lehnten ab. Pöppelbaum orderte eine Cola. Da die Getränke aber auf sich warten ließen, rutschte ich von meinem Hocker und suchte das
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