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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
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Hund, der über die Felskante gestürzt ist. Ich habe meine Feldflasche aus Stahl von meinem Gürtel abgeschnallt und habe kräftig auf den Kopf des kleinen Jungen geschlagen.
    Dann bin ich losgezogen, um diesen großen dummen Hund zu suchen. Ich habe drei Stunden gebraucht, bis ich ihn gefunden habe. Natürlich war er tot. Das Wichtige an dieser Geschichte, Danglard, war die offensichtliche Grausamkeit bei dem kleinen Jungen. Ich wußte seit langem, das bei ihm was nicht stimmte, und das war's, es war die Grausamkeit.
    Ich versichere Ihnen, daß er ein normales Gesicht hatte, daß er keine breiten Nasenflügel hatte. Ganz im Gegenteil, er war ein hübscher Junge, aber er sonderte Grausamkeit ab. Fragen Sie mich nicht nach mehr, ich weiß nichts weiter, außer daß er acht Jahre später eine Großmutter mit einer Standuhr erschlagen hat. Und daß die meisten vorsätzlichen Morde außer Leid, außer Erniedrigung, außer Neurosen, außer allem, was Sie wollen, Grausamkeit, Freude am Leid, am Flehen und am Todeskampf des andern, Freude am Zerfetzen voraussetzen. Es stimmt schon, daß man das nicht immer sofort bei jemandem bemerkt, aber man spürt wenigstens, daß bei dieser Person etwas nicht stimmt, daß sie irgend etwas ausbrütet, etwas, was zuviel ist, eine Wucherung. Und manchmal ist das die Grausamkeit, verstehen Sie, was ich meine? Eine Wucherung.«
    »Das widerspricht meinen Grundsätzen«, erwiderte Danglard etwas abweisend. »Ich bin kein Prinzipienreiter, aber ich glaube nicht, daß es Menschen gibt, die von irgend etwas geprägt sind, so wie Kühe, die Markierungen an den Ohren haben, und daß man daran intuitiv den Mörder erkennt. Ich weiß, ich sage banale und simple Sachen, aber man orientiert sich doch auf der Grundlage von Indizien und verurteilt auf der Grundlage von Beweisen. Dieses emotionale Gerede über Wucherungen verschreckt mich, das ist der Weg zur Diktatur der Subjektivität und der Justizirrtümer.«
    »Sie halten Reden, Danglard. Ich habe nicht gesagt, daß man das im Gesicht sieht, ich habe gesagt, das sei etwas Abscheuliches, das aus dem tiefen Innern dieser Person eitert. Es ist eine Eiterung, Danglard, und manchmal sehe ich sie hervorquellen. Ich habe gesehen, wie sie den Mund eines jungen Mädchens umspielte, so wie ich eine Schabe sehen würde, wenn sie hier über den Tisch liefe. Ich kann gar nicht anders, als es zu erkennen, wenn bei jemandem etwas nicht stimmt. Es kann die Lust am Verbrechen sein, aber auch etwas anderes, weniger Schlimmes. Es gibt Leute, die nur ihre Langeweile absondern oder ihren Liebeskummer, und das ist auch erkennbar, Danglard, man kann es riechen, ob es das eine oder das andere ist. Aber wenn es das andere ist, verstehen Sie, wenn es dieses Verbrechen ist, dann, glaube ich, weiß ich das auch.«
    Danglard hob den Kopf, und sein Körper wirkte weniger weich als gewöhnlich.
    »Trotzdem glauben Sie, etwas an den Leuten zu erkennen, Sie glauben, Schaben auf den Lippen zu sehen, Sie glauben, daß ihre Eindrücke Offenbarungen sind, weil es Ihre sind, und Sie glauben, daß die Menschen eitern, und das ist falsch. Die Wahrheit, die ebenfalls simpel und banal ist, besteht darin, daß alle Menschen gehässig sind, so wie sie Haare haben, und daß sie alle einen Knacks kriegen und zu Mördern werden können. Davon bin ich überzeugt. Alle Männer können vergewaltigen und morden, und alle Frauen können Beine abschneiden, so wie die Frau letzten Monat in der Rue Gay-Lussac. Es hängt nur davon ab, was einer erlebt hat, es hängt nur davon ab, ob einer Lust hat, sich im grauen Schlick zu verlieren und die Welt mit sich zu reißen. Man muß nicht von Geburt an eitern, um den Wunsch zu verspüren, die gesamte Erde als Preis für seinen Ekel zu vernichten.«
    »Danglard, ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie mich nach der Geschichte mit dem großen Hund abscheulich finden würden«, sagte Adamsberg mit gerunzelter Stirn und unterbrach seine Zeichnung.
    »Sagen wir, gefährlich«, murrte Danglard. »Man darf sich nicht so stark fühlen.«
    »Darin, daß man sieht, wie die Schaben sich bewegen, liegt wenig Stärke. Für das, was ich Ihnen erzähle, kann ich nichts. Was mein Leben angeht, so ist das sogar eine Katastrophe. Nicht ein Mal habe ich mich in jemandem getäuscht, wenn es darum ging, herauszufinden, ob er stand, lag, traurig war, intelligent, unecht, zerrissen, gleichgültig, gefährlich, schüchtern, all das, verstehen Sie, kein einziges Mal! Können Sie sich
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