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Es begann in einer Winternacht

Es begann in einer Winternacht

Titel: Es begann in einer Winternacht
Autoren: Lisa Kleypas
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hatte. Sie war versucht, das saubere Kleid anzulegen, das sie in ihren Koffer, der in der Eingangshalle auf sie wartete, gepackt hatte. Aber die Unbill der Reise würde jedes Kleidungsstück, das sie trug, in kürzester Zeit staubig und zerknittert aussehen lassen, sodass es nur wenig Sinn ergab, sich jetzt umzuziehen.
    Ein Geräusch an der Tür erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie hob den Blick und sah ein dralles Hausmädchen, das sie recht zögerlich fragte, ob sie sich gerne in einem der Gästezimmer frisch machen würde. Mit einigem Verdruss stellte Evie fest, dass das Mädchen viel zu gewöhnt an die Anwesenheit einer unbegleiteten Frau in diesem Haus schien, ließ sich dann aber von ihr zu einem kleinen Raum im ersten Stock führen. Das Zimmer, genau wie die anderen Teile des Hauses, die sie bisher gesehen hatte, war schön eingerichtet und sehr gepflegt. Die Wände schmückte eine helle Tapete, die mit handgemalten chinesischen Vögeln und Pagoden verziert war. Zu ihrer großen Freude fand Evie in einem angrenzenden kleinen Zimmer ein Waschbecken mit fließend Wasser und kunstvoll zu Delfinen geformten Hähnen und ein kleines Kämmerlein mit einem Klosett.
    Nachdem sie sich um ihre privaten Bedürfnisse gekümmert hatte, ging Evie zum Waschbecken hinüber, um sich Gesicht und Hände zu waschen, und trank durstig aus einem bereitstehenden silbernen Becher. Sie ging zurück ins Schlafzimmer, um nach einem Kamm oder einer Haarbürste zu suchen. Als sie keine fand, fuhr sie sich wenigstens glättend mit den Händen über ihre Hochsteckfrisur.
    Sie hörte keinen Laut, nichts, um sie zu warnen, dass jemand ins Zimmer getreten wäre, aber plötzlich wusste Evie, dass sie nicht mehr allein war. Sie drehte sich erschrocken um und stellte fest, dass St. Vincent direkt neben der Tür im Raum stand. Seine Körperhaltung war entspannt, und er hatte den Kopf leicht auf die Seite gelegt, während er sie betrachtete. Ihr wurde bewusst, wie müde sie war. Und der Gedanke an alles, was sie noch erwartete – die Reise nach Schottland, die eilige Hochzeit, der darauf folgende Vollzug der Ehe –, war noch erschöpfender. Sie straffte die Schultern und machte ein paar Schritte auf ihn zu, doch plötzlich leuchteten einige blendende Blitze vor ihren Augen, und sie schwankte.
    Sie schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Blick zu bekommen, und bemerkte, wie St. Vincent dicht neben ihr stand und sie fest an den Ellenbogen hielt. Sie war ihm noch nie so nah gewesen … sein Duft und das Gefühl seiner Nähe überfielen ihre Sinne … der subtile Hauch teuren Parfums und sauberer Haut unter Lagen von feinem Leinen und wollenem Tuch. Er strahlte Lebenskraft und Männlichkeit aus.
    Verwirrt blickte sie in sein Gesicht, das viel höher über ihr schwebte, als sie erwartet hatte. Sie war überrascht, wie groß er war – seine Größe fiel gar nicht auf, außer, wenn man sehr nah bei ihm stand.
    „Wann haben Sie das letzte Mal etwas gegessen?“, fragte er.
    „Gestern M-Morgen … glaube ich …“
    Eine seiner goldenen Augenbrauen hob sich. „Sagen Sie nicht, dass Ihre Familie Sie hat hungern lassen.“ Er hob den Blick gen Himmel, als sie nickte. „Die Geschichte wird von Minute zu Minute rührseliger. Ich werde die Köchin anweisen, einen Korb mit Sandwiches zu packen. Nehmen Sie meinen Arm, und ich helfe Ihnen die Treppe hinunter …“
    „Ich brauche keine Hilfe. Vielen D-Dank …“
    „Nehmen Sie meinen Arm“, wiederholte er in einem freundlichen Tonfall, der jedoch eine gewisse Härte verriet.
    „Ich werde nicht zulassen, dass Sie fallen und sich den Hals brechen, bevor wir auch nur die Kutsche erreichen. Es würde höllisch schwierig werden, Ersatz für Sie zu finden.“
    Evie musste wackliger auf den Beinen sein, als sie gedacht hatte, denn als sie zusammen zur Treppe gingen, war sie dankbar für seine stützende Hand. Auf der Treppe glitt St. Vincents Arm um ihre Taille. Er nahm ihre freie Hand und führte sie vorsichtig die Stufen hinunter. Auf seinen Knöcheln waren noch immer einige leicht bläuliche Verfärbungen zu sehen – die Überbleibsel seiner Konfrontation mit Lord Westcliff. Der Gedanke, wie dieser verwöhnte Aristokrat wohl in einer Auseinandersetzung mit ihrem bulligen Onkel Peregrine abschneiden würde, jagte Evie einen Schauer durch den Körper, und sie wünschte, sie wären schon in Gretna Green.
    St. Vincent spürte ihr Zittern und schloss seinen Arm fester um sie, als sie die letzte
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