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Erzaehlungen aus dem Nachlass

Erzaehlungen aus dem Nachlass

Titel: Erzaehlungen aus dem Nachlass
Autoren: Rainer Maria Rilke
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erschrak heftig, als mir diesmal nicht wie sonst Herr Horn, sondern die alte Dienerin öffnete. – Er sei ein wenig unwohl, brummte sie auf meine Frage. Sie war mir nicht besonders hold, weil ein großer Theil der Gunst, die sie früher allein genießen durfte, auf mich übergegangen war.
    Der Rath lag zu Bette und sah recht bleich aus.
    Er versuchte zu lächeln.
    Es gelang ihm schlecht. Er klagte über heftige Schmerzen in allen Gliedern. Der Arzt schüttelte den Kopf.
    Tage gingen hin. Es trat keine Besserung ein. Ich erschien pünktlich täglich um 4 Uhr nachmittags, saß an seinem Bette, las ihm vor oder erzählte Geschichten, die drolligsten, die ich wusste, um ihn zum Lachen zu bringen. – Das gelang freilich selten.
    Eines Nachmittages aber, als ich ihn aufsuchte, lehnte er aufrecht in den Kissen und schien viel frischer. Er scherzte wohl auch; und als ich ihn des Abends verließ, hatte ich die Überzeugung, dass mein guter Gönner sicher bald genesen würde.
    Herbe Täuschung! Am nächsten Morgen war ich eben auf dem Wege zur Schule, als ich die alte Wirtschafterin des Rathes scheinbar aufgeregt daher trippeln sah.
    Mir ahnte Böses.
    Lang stammelte das Weib Unverständliches unter ewigem Schluchzen und Schlucken – endlich brachte sie es hervor:
    »Jesus Maria, – er stirbt.« …
    Ich stürmte hinauf.
    Der Doctor saß mit sehr ernstem Gesicht am Bettfuße. Er winkte mir zu, leise zu gehen. Ich machte ihm ein Zeichen mit den Augen, er wippte kaum merklich die Schultern.
    Ich war trostlos. Kaum wagte ich zu atmen.
    In bebender Spannung betrachtete ich das abgezehrte Gesicht in den weißen Kissen – diese faltigen Hände, die nur hie und da leise zuckten…
    Da – plötzlich setzte sich der Rath rasch in den Kissen auf. Sein Auge glühte – seine Lippen bebten…
    »Ich weiß es« – jubelte er.
    Und ehe es der Arzt hindern konnte, sprang er mit jugendlichem Ungestüm aus den Decken und stürzte zu dem Tischchen, wo die weißen Bogen lagen.
    Wir, starr vor Staunen, folgten nicht so gleich.
    Ein leises Röcheln machte uns beben.
    Wir sprangen herzu.
    Der Rath lehnte weit zurückgeneigt mit geschlossenen Augen im Armstuhl. Auf seinen Zügen glänzte ein glückseliges Lächeln, die Hand hing schlaff herab, die Feder war ihr entfallen.
    Der Arzt beugte sich über den Greis.
    Er horchte. Ich kniete zur Seite.
    Der Doctor seufzte auf. Dann sagte er leise: »Amen«.
    Auf dem weißen Bogen aber war der Anfang eines Buchstabens verzerrt und unkenntlich und dann ein verlaufender harter Strich quer über die ganze Fläche. – *
    Damit schloss mein Ohm und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirne. –
    Mir aber standen die Thränen in den Augen.
    *
    Das war die Geschichte vom Rath Horn.

Der Dreiklang
    Alle Welt hatte den Kopf geschüttelt damals als Dr. M… die achtzehnjährige Baronesse zum Weibe genommen. – »Thut nicht gut« hatten kluge Leute gemunkelt. Er an die sechzig und – sie?…
    Ob sie damals Recht hatten, diese Klugen?
    Lange sprach niemand mehr darüber. Die Vermählung des greisen Schriftstellers ward vollzogen und die bösen Zungen kamen umso früher zu Ruhe, zumal sich M… mit seiner Adda aus dem Bannkreise der lästigen Beobachtung auf ein kleines Landgut zurückgezogen hatte.
    Heute war sein Name wieder in Aller Munde. Ein neues Stück M’s, sollte abends im Residenztheater über die Bretter gehen. Große Anzeigen leuchteten an den Ecken. Der Name des Autors hatte guten Klang, und das Haus versprach übervoll zu werden.
    Die Klügsten der Klugen aber standen schon am Vormittage an den Ecken beisammen und riethen her und hin, was man nach dem Titel von dem Drama zu erwarten hätte. Der war sonderbar genug:
»Der Dreiklang«
    stand in ungeheuren schwarzen Lettern über dem Personenverzeichnisse. Und erst die Personen! Er, sie, ein Hausfreund…
    Ja, die Klugen sind halt überaus scharfsichtig.
    *
Zweiter Act, dritte Scene:
    Der Gatte: … und du liebst ihn, Irma?
    Sie: (Gattin): offen – ja!
    Er: Gut, dass du so offen bist.
    Sie: Du verdienst es; belügen werde ich dich nie!
    Er: Diese Wahrheit schmerzt. Freilich – ich hätte bedenken sollen, als ich dich heiratete: du bist jung und – ich…
    Sie: Nicht doch. – Du handeltest damals ganz recht. Ich will mich nicht von dir lossagen; ich vermöchte es nicht; – denn… denn… ich (zögernd) ich schätze – dich.
    Er: Mein Kind…
    Sie: Du sagtest mir oft: Ich könnte nicht ohne Dich sein, Irma; du verstehst mich; du bist mir
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