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Erzaehlungen aus dem Nachlass

Erzaehlungen aus dem Nachlass

Titel: Erzaehlungen aus dem Nachlass
Autoren: Rainer Maria Rilke
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sie schritt im Zimmer auf und ab. Ihr fröstelte. An der Thür blieb sie stehen und horchte. Es war alles still. Sie schloss behutsam auf. Auf der Schwelle schaute sie sich um – ängstlich und scheu.
    Dann lief sie hastig durch den Vorraum zur Treppe.
    Fern bellte ein Hund.
    Sie schrak zusammen und – wartete. – Nichts. –
    Jetzt tappte sie unwillkürlich die dunkle Treppe hinab – leise, leise …
    Wie dunkel das war!
    Aber auf einmal musste sie lächeln.
    Jetzt wusste sie, was das Eine war – das Eine …
    *
Und sie ging in den Mühlteich. – – –
    *
    Ende. –

Der Rath Horn
    Hatte einen alten Großoheim. Der wusste wunderlich zu erzählen. Wenn ich bei ihm saß in seiner hohen, wohlgescheuerten Stube, wo die steifbeinigen Rundstühle so gemüthlich um den großen glattgebohnten Tisch standen, und mächtige Bücherreihen so ernst von den Wänden niederschauten, da ermüdete er nicht zu erzählen und zu plaudern. Oft waren es schnurrige tolle Erlebnisse mit unmöglichen Situationen, öfter aber noch gar unheimliche spukhafte Geschichten, die der Ohm mit so geheimnisvoller Stimme kundthat, dass mir, dem lauschenden Jungen, ein kalter Schauer über den Rücken rieselte und ich mich gar nicht umzusehen traute in dem dämmerigen weiten Zimmer. Mehr aber noch als alle diese Geisterlebnisse hat mich immer eine Geschichte interessiert und ergriffen. Oft und oft musste mir der alte Herr dieselbe wiedererzählen. – Ich weiß sie heute noch, und will sie ganz in der Art, wie er sie darzustellen pflegte, wiedergeben: *
    War ein Bub’ noch ein dummer Dreikäsehoch und Naseweis. Da lebte in unserer Stadt ein alter Herr. Täglich konnte man ihn sehen. Um die dritte Stunde des Nachmittags begann er immer seinen Spaziergang unter den Lauben des Ringplatzes. Er trug einen verschossen langgeschößelten Rock mit sehr hohem Kragen und eine schwarze steife Halsbinde. Den Hut hatte er tief in die Stirne gedrückt; die linke Hand ließ er stetig am Rücken ruhen, während die Rechte krampfhaft ein gelbes Rohr hielt, dessen goldenen Knopf er beständig an die dünnen Lippen presste. Er schien Niemanden zu bemerken und erwiderte selten die Grüße, die ihm allenthalben dargebracht wurden. Die ihm begegneten, raunten einander zu: der Rath Horn, – der Rath Horn.
    Das war aber auch Alles, was sie von ihm wussten – höchstens noch, dass er draußen am Ende des Städtchens in einem einsamen grauen Häuschen wohnte und dass eine Matrone, die ebenfalls ewig unverändert aussah, ihm die Wirtschaft führte. Seit Menschengedenken lebte er in M… – Wo er sich den Titel Rath erworben und als Mitglied welcher Körperschaft er ihn führte – konnte niemand angeben. – Man munkelte allerlei von Verrücktheit … aber das war ja Unsinn. Kurz er war einfach der Rath Horn, Kaspar Horn. – Wir Burschen begegneten ihm täglich; wir verließen gerade die Schule, wenn er seinen täglichen Gang abhaspelte. Ich zählte etwa 16 Jahre und meine Genossen wenig darüber oder darunter. Aber sie waren alle rechte Kinder! Sie standen nicht ab, den stillen alten Mann durch Lächerlichkeiten und dumme Hohnworte zu kränken. Anfangs war auch ich dabei. Nach und nach aber flößte mir das Wesen des Rathes eine so ehrfurchtsvolle Scheu ein, dass ich, wenn ich seiner gewahr wurde, mich von den Gefährten trennte, an der Straßenecke stehen blieb, und wenn jener vorüber schritt, eiligst und tief meine Mütze zog. Natürlich sah mich Herr Horn meistens nicht. Eines Nachmittages aber, als ich meinen Gruß besonders auffallend wiederholte, wandte er mir wie erschrocken den Kopf zu, senkte ein wenig sein Rohr zum Danke und ging wieder seines Weges. Ich aber war stolz und glücklich. – Ein Schwärmer, wie ich damals war, das Herz voller Spuckgeschichten und Abenteuerlust, fand bald so viel Gefallen an dieser sonderbaren Persönlichkeit, dass ich mit einer über mein Alter hinausgehenden Entschlossenheit mir vornahm, dem Rathe zu folgen und nicht zu ruhen, bis ich etwas mehr über sein Leben und Schicksal wüsste. Dass das eigentlich eine Vermessenheit sei und überdies nicht gar leicht, fiel mir nicht bei.
    Plan ward That. Tag für Tag schritt ich hinter dem alten Herren einher. Immer hoffte ich und fürchtete zugleich, er würde sich umsehen, mich erblicken und ausfragen. Nichts dergleichen jedoch geschah. Der Rath ging in derselben Weise wie auf dem Ringe, den Stock an den Lippen, fort, vor seinem Hause blieb er plötzlich stehen, öffnete die kleine
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