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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Friedrich Glauser
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eine Situation einmal literarisch wird, dann sind Sie rettungslos verloren ... Die Literatur macht es sich so einfach. Da gibt es wenig tägliche Sorgen, und wenn einer Schulden hat, gewinnt er das grosse Los oder begeht Selbstmord – zwei schöne, endgültige Lösungen, nach denen der Roman schliessen kann ...
    Mein Roman läuft weiter, und es ist kein Roman mehr.Es ist alltägliche Wirklichkeit, und die ist schwerer zu formen. Jawohl ...
    Und doch, beachten Sie einmal, wie klug das Leben im Grunde ist. Es hat mich gewarnt, es hat mir gezeigt, wie kitzlig im Grunde diese ganze Nausikaa-Situation war (entschuldigen Sie den Ausdruck). Das Leben, es hatte mich einmal an die Insel Graziosa gespült, hatte mir deutlich gesagt: Hier hast du das Glück, das du ersehnst, hier hast du die kleine Königstochter und den Vater, der König ist. Und zugleich hatte es mir eine Lektion erteilt – das Leben. Messerstiche, Eifersucht der Bevölkerung, so als wolle es sagen: Es ist aussichtslos, das Ganze, sobald man nicht eine Penelope daheim hat, die jede Nausikaaverführung neutralisiert. Ich hätte mich nach einer Penelope umtun sollen, aber ich war immer gehetzt. Das ist wohl meine Entschuldigung, bleibt wohl meine Entschuldigung ... Ein gescheiter Kerl war Odysseus. Er beugte vor. »Nur keine Sentimentalitäten!« sagte er, und schlau wie er war, pries er den am glücklichsten – makartatos exochon allon –, der durch die Gabe reicher Brautgeschenke Nausikaa in sein Haus werde führen können ... Mit reichen Brautgeschenken ... Nausikaa war schon reich, aber ihr Zukünftiger musste auch Geld haben. Und Odysseus war ein Schiffbrüchiger, der nicht einmal ein Hemd hatte ... Das konnte nicht gut enden ...
    Auch ich war ein Schiffbrüchiger, auch ich hatte kein Hemd ... und Dora war reich. »Es wird für uns beide langen«, sagte sie, »mein Vater hat Geld ...« Er war nicht gerade reich, er war wohlhabend, ein Weinhändler aus der Provence, der in Paris ein kleines Vermögen erworben hatte und eine Schwedin geheiratet hatte – darum waren Doras Haare blond ...
    Ich bin von Nausikaa geheiratet worden ... Das ist ein trauriges Los. Ich werde nie mehr eine Penelope finden. Sie werden es mir ersparen, Ihnen unsere Verlobungszeit zu schildern ... Ich spielte meine Rolle gut, nur allzugut. Der Vater war dagegen, die Mutter war dafür ... In New Yorkhaben wir uns trauen lassen ... Der Vater bezahlte meine Schulden. Dann sollte ich noch einmal versuchen, den Ozean zu überqueren. Aber ich hatte genug und drückte mich. Das war die erste Enttäuschung für Dora-Nausikaa .... Wir kehrten nach Frankreich zurück. Der Vater verlor sein Geld in einem Schwindelunternehmen. Ich sollte Arbeit suchen ...
    Wissen Sie, solange man allein ist und einem Traum nachjagt, ist man fähig, etliche Verrücktheiten zu begehen – um Geld zu verdienen? Um Nausikaa zu finden? ... Aber wenn Sie einmal mit Nausikaa verheiratet sind, ist der Traum zu Ende. Sie kann nicht einmal ein Beefsteak ordentlich braten! Und Nausikaa konnte Wäsche waschen. Ich gebe meine Smokinghemden in eine Wäscherei. Der alte König säuft, die alte Königin ist recht lieb zu mir, sie braut mir jeden Abend einen starken Kaffee, das kann sie ... Und Nausikaa? Nausikaa verwelkt und liest Alexandre Dumas, Victor Hugo und Musset. Den Grafen von Monte Christo hat sie schon dreimal gelesen ... Und Blicke wirft sie mir zu! Verstehen Sie jetzt, dass ich lieber in einer Bar sitze und Fremde abkonterfeie? So geht die Nacht herum ... Am Tage schlafe ich. Man kann mir daheim nicht viel vorwerfen ... Ich bringe Geld, nicht viel, es langt gerade ... Und dann hab' ich ein paar gute Kameraden, Flieger, die manchmal hierherkommen, und kleine Freundinnen, in allen Ehren natürlich, wie Berthe zum Beispiel – ich bin kein Schürzenjäger ... Man arrangiert sich sein kleines Leben, es ist nicht mehr heroisch, es ist still geworden ... Die Menschen sind interessant, besonders wenn sie sich zeichnen lassen oder wenn man beobachten kann, welche Mühe sie sich geben, lustig zu sein, wenn sie sich einmal vorgenommen haben, sich zu amüsieren ...
    Berthe, mein Kind, wach auf. Dein Kopf war sicher den starken Schultern des Herrn ein leichtes Gewicht. Aber nun will er heim ... Ich werde dich bis zum Métro begleiten, und wir fahren zusammen bis Denfert-Rochereau. Dort muss ich umsteigen, und du fährst weiter.
    Und Ihnen, mein Herr, danke ich für das freundliche Zuhören. Hier ist Ihr Porträt, es kostet
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