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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Paul Verne
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in dieser Stunde ein Traum langer Jahre in Wirklichkeit.
    Der Mont-Blanc ist der höchste Berg in ganz Europa; in Asien und Amerika giebt es zwar eine Anzahl Berge, die höher sind als er; Niemand aber hält es der Mühe werth sie zu ersteigen, denn auf ihren Gipfel zu gelangen ist unmöglich; kommt man auf dem möglichst hohen Punkt an, so ragt die eigentliche Spitze noch immer darüber hinaus.
    Andere Berge, wie z.B. der Cervin, sind noch schwerer zugänglich als der Mont Blanc, und doch bemerkten wir seinen Gipfel 400 Meter unter uns!
    Und welch ein Schauspiel entschädigte uns hier für all unsere Mühen! der immer noch klare Himmel schaute in wundervoll dunkler Färbung auf uns herab. Die theilweise ihrer Strahlen beraubte Sonne hatte ihren Glanz verloren wie bei einer partiellen Sonnenfinsterniß, und diese durch die Verdünnung der Atmosphäre hervorgerufene Wirkung trat um so mehr zu Tage, als die umgebenden Berge und Ebenen von Licht überfluthet waren.
    Im Südosten verschlossen die Berge von Piemont und weiterhin die Ebenen der Lombardei, im Westen die Berge Savoyens und der Dauphiné, jenseit das Rhonethal unseren Horizont. Im Nordwesten der Genfer-See, das Jura-Gebirge, dann, wenn man wieder nach Süden hinab geht, ein unbeschreibliches Chaos von Bergen und Gletschern, überragt von der Steinmasse des Mont-Rose, den Mischabelhörnern, dem Cervin, dem Weißhorn, das der berühmte Alpenersteiger Tyndall den schönsten aller Gipfel nennt, und weiterhin von der Jungfrau, dem Mönch, Eiger und Finsteraarhorn.
    Die Ausdehnung unseres Rayons war auf sechsunddreißig Meilen abzuschätzen, demnach überschauten wir also mindestens zweiundsiebzig Meilen Landes.
    Noch ein besonderer Umstand vermehrte die Schönheit des Panoramas. Nach Italien hin bildeten sich Wolken und drangen in die Thäler der Penninischen Alpen, ohne doch ihre Gipfel zu verschleiern. Unter unseren Augen bildete sich ein anderer, ein zweiter Himmel, ein förmliches Wolkenmeer, aus welchem ein ganzer Archipelagus von Pics und schneebedeckten Bergen hervorragte. Ein magischer Anblick, für dessen Beschreibung wohl kaum der größte Dichter Worte finden würde.
     

    Jonction. (S. 274.)
     
    Der Gipfel des Mont-Blanc bildet einen von Südwest nach Nordost laufenden, zweihundert Schritte langen Kamm, der auf der höchsten Spitze nur einen Meter breit ist. Man könnte ihn mit einem umgestürzten Schiffsrumpf vergleichen, dessen Kiel nach oben steht.
    Ein seltener Zufall wollte es, daß die Temperatur heute sehr hoch stand; wir hatten zehn Grad über Null. Die Luft war fast still, nur ab und zu machte sich eine leichte Brise aus Osten bemerklich.
    Die erste Sorge unserer Führer, nachdem wir unser Ziel erreicht hatten, war gewesen, uns der Reihe nach in gerader Linie aufzustellen, damit man uns von unten aus zählen und sich darüber vergewissern könnte, daß Niemand beim Antreten fehle. Eine Anzahl Touristen hatten sich nach dem Brevent und dem Jardin begeben, um unserer Ascension mit den Augen zu folgen; sie konnten jetzt unseren Erfolg constatiren.
    Mit dem Hinaufsteigen ist jedoch nicht Alles gethan; auch das Hinabsteigen hat seine Gefahren; die schwierigste, wenn auch nicht die ermüdendste Arbeit blieb noch zu vollbringen übrig. – Aber wie ungern verläßt man den um den Preis so vieler Mühen errungenen Gipfel! Die Feder, die uns beim Hinaufsteigen vorwärts trieb, das so natürliche und gebieterische Bedürfniß zu beherrschen , läßt uns nun im Stich; man verfolgt den Weg nicht mit dem Eifer wie in der Richtung nach oben, und wieder und immer wieder richten sich unsere Blicke rückwärts.
    Wir mußten uns jetzt jedoch entscheiden! Nach einer letzten Libation des üblichen Champagners, und nachdem wir uns über eine Stunde auf dem Gipfel des Mont-Blanc aufgehalten hatten, begaben wir uns auf den Rückweg. Die Marschordnung wurde nun verändert; Herr N… mit seinen Begleitern ging voran, und auf die Bitte seines Führers banden wir Alle uns zusammen, denn über Herrn N…, den seine Kraft, nicht aber sein Wille im Stich gelassen, hatte sich eine so furchtbare Erschöpfung gebreitet, daß man einen Unfall befürchten mußte, der durch die erwähnte Vorsichtsmaßregel doch am ersten verhindert wurde. Der Gang der Thatsachen rechtfertigte unsere Besorgniß; als wir die Eiswand hinabstiegen, that Herr N… mehrere Fehltritte, so daß ein sehr kräftiger und geschickter Führer ihn nur mit großer Mühe beim Uebergange halten konnte. Unsere
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