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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Paul Verne
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Natürlich wird der Brevent viel besucht.
    Wir brachen gegen sieben Uhr Morgens auf, unterwegs aber mußte ich immer noch an die zweideutigen Worte des Oberführers denken, die mich wirklich einigermaßen irritirt hatten. Ich fragte deshalb Ravanel.
    »Haben Sie schon den Mont Blanc bestiegen?
    – Ja, mein Herr, zwar nur ein Mal, aber das genügt mir vollkommen. Ich möchte die Reise nicht wieder unternehmen.
    – Teufel! und ich will sie unter jeder Bedingung machen! entfuhr mir unwillkürlich.
    – Ganz nach Ihrem Belieben, Herr, erwiderte er; aber ich meines theils werde sie nicht begleiten. Der Berg ist dies Jahr nicht günstig dazu; man hat schon mehrere Versuche gemacht, aber bis jetzt sind nur zwei gelungen, und der zweite erst, nachdem man mehrmals dazu angesetzt hatte. Uebrigens hat der Unfall im letzten Jahre die Schwärmer etwas abgekühlt.
    – Was für ein Unfall? erzählen Sie doch!
    – Wie, Sie haben noch nichts davon gehört, Herr Verne? Die Sache verhielt sich so: Eine Karawane, die aus zehn Führern und Trägern und aus zwei Engländern bestand, brach Mitte September nach dem Mont-Blanc auf. Man beobachtete, daß sie auf dem Gipfel anlangten, dann, nach einigen Minuten verschwanden sie in einer Wolke, und als diese sich wieder klärte, sah man nichts mehr von ihnen. Die beiden Reisenden nebst sieben Führern und Trägern waren vom Winde fortgerissen worden und auf der Seite von Cormayeur jedenfalls auf den La Brenva-Gletscher hinabgestürzt. Trotz der eifrigsten Nachforschungen sind ihre Leichen nicht aufgefunden; die drei andern aber fanden sich hundertundfünfzig Meter unter dem Gipfel, in der Gegend der Petits-Mulets, sie waren zu Eisblöcken erstarrt.
    – Die Reisenden haben zweifellos irgend eine Unbesonnenheit begangen! rief ich. Wie thöricht schon, so spät für eine solche Expedition aufzubrechen! Der Monat August wäre ein geeigneter Zeitpunkt dazu gewesen!«
    Ich wollte mir mit aller Macht diese Unglücksgeschichte wieder aus dem Sinn schlagen, aber meine Gedanken kehrten immer wieder zu ihr zurück. Glücklicherweise klärte sich das Wetter bald auf, und die Wolken, die den Mont-Blanc noch verschleiert hatten, flohen gleich denen, die meinen Geist umdunkelten, vor den herrlichen Sonnenstrahlen.
    Unsere Besteigung ging ganz nach Wunsch von Statten. Wenn man die 2062 Meter hoch gelegenen Sennhütten von Planpraz verläßt, klettert man über Steingeröll und Schneelachen bis zum Fuß eines Felsens, La Cheminée genannt, den wir auf Händen und Füßen emporklimmen mußten. Zwanzig Minuten später langt man auf dem Gipfel des Brevent an, der eine köstliche Aussicht bietet. Die Kette des Mont-Blanc erscheint in ihrer ganzen Majestät. Der riesige Berg thront mächtig über seinen gewaltigen Abstufungen und scheint allen Stürmen zu trotzen, die über sein Schild von Eis dahin gleiten, ohne es je antasten zu können, während eine Menge Spitzen, Pics und Berge, die sich um ihn herum thürmen und schaaren, ohne ihm jedoch gleichkommen zu können, die augenscheinlichen Spuren einer langsamen Zersetzung tragen.
    Von dem herrlichen Belvedere, auf dem wir standen, kann man sich schon, wenn auch nur noch sehr unvollkommen, eine Idee von den Entfernungen machen, die zurückzulegen sind, wenn man den Gipfel des Mont-Blanc erklimmen will. Der Gipfel scheint von Chamouni aus gesehen dem Dom-du-Goûter ganz nahe; hier zeigt er sich in seiner richtigen Entfernung, und verschiedene Plateaux, die man von unten nicht bemerken kann, liegen hier klar vor Augen und lassen sogar, nach den Gesetzen der Perspective, die so ersehnte Spitze des Mont-Blanc noch zurück treten. Der Gletscher der Bossons starrt in seinem vollen Glanze von Eisnadeln und Séracs (Eisblöcken, die zuweilen bis auf zehn Meter Seitenlinie haben); sie scheinen die Felswände der Grauds-Mulets, deren Basis in ihrer Mitte verschwindet, wie die Fluthen eines aufgeregten Meeres zu schlagen.
    Solch wundervolles Schauspiel war nicht danach angethan, mich abzukühlen, und ich gelobte mir fest, diese für mich noch unbekannte Welt zu erforschen.
     

    Eisnadeln und Séracs. (S. 256.)
     
    Mein Reisegefährte wurde, ebenso wie ich, von Enthusiasmus hingerissen, und von diesem Augenblick an stieg die Ahnung in mir auf, daß ich nicht allein den Mont-Blanc besteigen würde.
    Wir kehrten wieder nach Chamouni zurück; das Wetter hellte sich mehr und mehr auf, das Barometer stieg, und Alles ließ sich zum Besten an.
    Am folgenden Tage bei
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