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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht
Autoren: Jessica Shirvington
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wusste es.«
    Ich blickte auf. »Was meinst du damit?«
    »Nur so eine Theorie. Ich will dich nicht damit belasten«, sagte er provozierend.
    »Es sollte mich nicht überraschen, dass du Geheimnisse hast«, schoss ich zurück.
    »Ja, wir sollten inzwischen beide unsere Lektion gelernt haben. Und genau wie du dein Schicksal angenommen hast, ist es vielleicht an der Zeit, dass ich meines annehme.« Er deutete auf das Gebäude hinter mir. »Hast du wirklich gedacht, dass dich das beschützen würde?«
    Ich wandte mich um und stand vor einer großen Kirche aus Stein. Mir war noch nicht einmal aufgefallen, dass ich vor ihr stehen geblieben war.
    Als ich mich wieder umdrehte, war er bereits am Weggehen. Es war ein herrlich klarer Tag, weit und breit keine Wolke in Sicht, und doch schien die Sonne seinen Körper nicht zu erreichen. Ein Schatten lag über ihm und ich konnte nicht anders: Er tat mir leid.
     
    Z wei Wochen später stand ich in einem Meer von Menschen in knappen Shorts und Trainingsshirts. Knappe Shorts sollte man verbieten. Selbst an fantastisch aussehenden Typen sahen sie irgendwie fehl am Platz aus.
    Ich saß auf einer Bank in der Nähe der Startlinie, um meine Schuhe zu schnüren. Ich spürte ihn, bevor ich ihn sah. Aber es waren nicht die Sinneswahrnehmungen. Es war etwas Menschlicheres.
    »Hey«, sagte er. Er setzte sich neben mich.
    »Hey.«
    »Ich habe mich gefragt, ob du es hierher schaffen würdest.«
    Ich lächelte. »Hab ich doch gesagt, oder?«
    »Du hast eine ganze Menge gesagt. Wir haben beide eine Menge gesagt.«
    »Du wusstest es, nicht wahr? Dass Phoenix ein Engel der Finsternis war.« Noch weitere Puzzleteilchen hatten sich zusammengefügt, seit ich mich aus Phoenix’ Fängen befreit hatte. Es war, als hätte sich ein Nebel aufgelöst – Dinge, die ich damals nicht erkannt hatte, waren nun auf schmerzhafte Art deutlich.
    »Ich vermutete es.«
    Ich wusste nicht, ob ich je wieder alles in Ordnung bringen konnte, aber irgendwo musste ich anfangen. »Es tut mir leid, Linc, wegen all der schrecklichen Dinge, die ich gesagt … und getan habe.«
    Er rückte näher an mich heran, aber nicht so nah, dass wir uns berührten. »Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen. Das warst nicht wirklich du. Und selbst wenn, hätte ich es verstanden.«
    Ich konnte meine Verwirrung nicht verbergen. »Warum bist du dann in dieser Nacht verschwunden?«
    Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar und schaute zu der Masse der Läufer hinüber, die sich sammelten. »Ich habe dir versprochen, dich zu beschützen. Ich habe dir versprochen, nie wieder zuzulassen, dass dir jemand wehtut. Ich wusste, dass mit Phoenix irgendetwas nicht stimmte, aber ich wurde einfach in alles hineingezogen und er …« Er schüttelte den Kopf. »Das Schlimmste war: Als du verletzt dalagst und ich tatsächlich etwas hätte tun können, um dir zu helfen, war ich nicht da, aber er schon. Ich habe dich immer wieder im Stich gelassen und ich kann nicht von dir verlangen, dass du mir das je verzeihst.« Er sank nach vorne und legte den Kopf in seine Hände.
    Ich drehte mich zu ihm, legte ihm sanft die Hand auf das Kinn und wandte sein Gesicht meinem zu. Durch die kleine Berührung flackerten unsere Kräfte auf, erkannten sich gegenseitig. Sein Kinn war rau und unrasiert. Wahnsinnig sexy. »Du hast mich nie im Stich gelassen. Du bist der einzige Mensch in meinem Leben, der immer da war. Ich bin nicht deine Mutter, Linc, du kannst dir nicht für alles die Schuld geben.« Ich holte tief Luft und drückte mir die Daumen. »Alles, was ich weiß, ist, dass ich dich in meinem Leben haben will … wenn du mich auch in deinem willst?«
    Er schaute mich an, seine Augen verrieten alle Dinge, die er nicht in Worte fassen konnte. »Violet, wir …«
    Aber bevor er sich in die Diskussion stürzen konnte, in der er mir sagen würde, dass wir nie zusammen sein konnten, hielt ich ihn auf.
    »Linc, wie wäre es, wenn wir immer nur einen Tag nach dem anderen angehen würden?«
    Er hielt meinem Blick stand und ich konnte erkennen, wie schwer es für ihn gewesen sein musste – sich zurückzuhalten, mich niemals zu ermutigen –, sobald er wusste, was ich empfand. Als er dasselbe empfand. Aber es gab keine andere Möglichkeit für uns. Wir waren Grigori-Partner.
    Doch noch während ich mir sagte, dass es eben so war, wie es war, konnte ich nicht anders, als mich an einen Funken Hoffnung in mir zu klammern, der mir zuflüsterte: Wo ein Wille ist, ist auch ein
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