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Titel: Error
Autoren: N Stephenson
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hatte. Während der Handvoll Jahre, in denen Richard es in seiner Zerstreutheit versäumt hatte, an sie zu denken, hatte sie also ihr ganzes Leben gelebt.
    Damals hatte sich ihr Aussehen und ihre Identität für ihn nicht weit über ihre Vorgeschichte hinaus erstreckt: eine Waise aus Eritrea, von einer kirchlichen Mission aus einem Flüchtlingslager im Sudan herausgeholt, adoptiert von Richards Schwester Patricia und ihrem Mann Bob, erneut Waise geworden, nachdem Bob sich aus dem Staub gemacht hatte und Patricia unerwartet gestorben war. Ein zweites Mal adoptiert, diesmal von John und seiner Frau Alice, sodass sie die Highschool durchlaufen konnte.
    Richard durchforstete seine ausgesprochen schwachen Erinnerungen an die letzten paar Weihnachtsbriefe von John und Alice, bemüht, sich den Rest zusammenzureimen. Zula war nicht weit entfernt – Iowa State? – aufs College gegangen. Hatte etwas Praktisches gemacht – ein Ingenieurdiplom. Hatte einen Job bekommen, war irgendwohin gezogen.
    »Du siehst großartig aus!«, sagte er, denn allmählich musste er etwas sagen, und das erschien ihm unverfänglich.
    »Du auch«, sagte sie.
    Damit fühlte er sich ein bisschen abgespeist, weil es ein so offensichtlicher Blödsinn war. Vor fast vierzig Jahren waren Richard und einige seiner Freunde, damals noch Teenager, auf einer albernen Spritztour über eine Ortsstraße gebrettert und hatten sich hinter einem langsam fahrenden Bauern wiedergefunden. Einer von ihnen hatte, vermutlich unter Drogeneinfluss, eine – auf den zweiten Blick unverkennbare – Ähnlichkeit zwischen Richards breiter, rötlicher Felswand von einem Gesicht und dem hinteren Ende des roten Pickups vor ihnen bemerkt. Daher der Spitzname Dodge. Richard fragte sich immer, wann er das gute Aussehen der adlernasigen, silberhaarigen Männer entwickeln würde, die in den Werbeanzeigen für Prostatamedikamente auf ihren endlosen Ausflügen im Wasserflugzeug und in der Idylle des Fliegenfischens zu sehen waren. Stattdessen entpuppte er sich als eine zusehends in die Breite gehende, fleckige Version dessen, was er mit fünfunddreißig gewesen war. Zula dagegen sah wirklich großartig aus. Schwarz/arabisch mit einem unübersehbaren Schuss italienisch. Eine spektakuläre Nase, die in anderen Familien und Lebensumständen unters Messer gekommen wäre, jedoch, wie Zula selbst fand, mit dieser großen Brille drauf wunderschön aussah. Auf die Idee, sie für ein Model zu halten, würde niemand kommen, aber sie hatte ihren Look gefunden. Was für Stilpheromone Zula innerhalb ihrer Altersgruppe versprühte, konnte er nur ahnen, aber für ihn war sie so etwas wie eine Hyperraum-Bibliothekarin, ein Strebermädchen, das er clever und attraktiv fand, ohne dass es ihn auf eine Weise anzog, die unangebracht gewesen wäre.
    »Das ist Peter«, verkündete sie, da ihr Freund jetzt das Magazin der Glock geleert hatte. Richard nahm beifällig zur Kenntnis, dass er das Patronenlager der Waffe überprüfte, das Magazin auswarf und das Lager erneut prüfte, bevor er die Waffe in die linke Hand nahm und ihm die rechte hinstreckte. »Peter, das ist mein Onkel Richard.« Als Peter und Richard sich die Hand schüttelten, sagte Zula zu Peter: »Er wohnt übrigens ziemlich in unserer Nähe!«
    »In Seattle?«, fragte Peter.
    »Da habe ich eine Eigentumswohnung«, sagte Richard und klang in seinen eigenen Ohren steif und wenig überzeugend. Er war verlegen. Seine Nichte wohnte in Seattle, und er hatte es nicht gewusst. Was würde die versammelte Familie davon halten? »In letzter Zeit hab ich aber mehr Zeit in Elphinstone verbracht«, führte er als eine Art Entschuldigung an. Und fügte, für den Fall, dass Peter damit nichts anfangen konnte, hinzu: »B. C.«.
    Doch Peters Gesicht nahm einen aufmerksamen, interessierten Ausdruck an. »Ich hab gehört, dass man da prima snowboarden kann!«, sagte Peter.
    »Keine Ahnung«, erwiderte Richard. »Aber alles andere ist ziemlich schön.«
    Auch Zula war verlegen. »Tut mir leid, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe, Onkel Richard! Es stand auf meiner Liste.«
    Von den meisten Leuten wäre das nichts als eine höfliche Floskel gewesen, aber Richard wusste, dass Zula tatsächlich eine richtige Liste führen und dass »Onkel Richard anrufen« ein Punkt darauf sein würde.
    »Das ist mein Fehler«, sagte er. »Ich hätte dich ja mal einladen können.«
    Während sie weitere Munition in leere Magazine stopften, brachten sie sich gegenseitig auf den
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