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Titel: Error
Autoren: N Stephenson
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Mann gab, der gerade mit Schießen an der Reihe war. Dann ging Len um den Mann herum, stellte sich hinter ihn und erklärte ihm geduldig, wie er das Gewehr schussbereit machte: Magazin einführen, Ladehebel vorschnellen lassen und die Sicherung umlegen.
    Richard beschrieb hinter ihnen einen weiten Bogen und geriet unversehens in eine eher lockere Ansammlung älterer Männer, von denen manche entspannt auf Faltstühlen mit Tarnstoff saßen und andere aus gewaltigen alten Jagdbüchsen feuerten. Die Stimmung hier gefiel ihm besser, aber er spürte – vielleicht hörte er auch die Flöhe husten –, dass sie ein wenig erleichtert waren, als er seinen Weg fortsetzte.
    Er kam nur alle zwei oder drei Jahre zu dem Familientreffen. Aufgrund von Alter und Umständen genoss er den Luxus, der Ahnenforscher der Familie zu sein. Er war der Ersteller jener Stammbäume, die die Moms in den Geländewagen entfalteten. Wenn er für ein paar Minuten ihre Aufmerksamkeit gewinnen, sie zusammenrufen und ihnen Geschichten von den Männern erzählen könnte, die einige der jetzt entlang des Zauns zu hörenden Waffen – natürlich nicht die Glocks oder die schwarzen Gewehre, sondern die Single-Action-Revolver, die 1911er, die brünierten Unterhebelrepetierer Kaliber .30-30 – besessen, abgefeuert und gereinigt hatten, dann würde er ihnen begreiflich machen, dass, selbst wenn das, was er getan hatte, nicht mit ihren Vorstellungen von dem, was richtig war, übereinstimmte, es doch den alten Bräuchen der Familie näher kam als die Art, wie sie selbst lebten.
    Aber warum regte er sich überhaupt so auf?
    Dermaßen in Gedanken kam er zu einem kleinen Grüppchen von Leuten, überwiegend Mitte zwanzig, die mit Faustfeuerwaffen schossen.
    Irgendwie konnte er nicht genau ausmachen, warum, aber ihr Aussehen und ihre Stimmung waren vollkommen anders als bei denen, die sich um Len drängten. Sie kamen aus einer Stadt. Vermutlich einer Küstenstadt. Westküste. Nicht L. A. Irgendwo zwischen Santa Cruz und Vancouver. Ein Mann mit längerem Haar und Tattoos, die aus den Ärmeln der fünf Schichten von Fleece- und Regenjacken hervorlugten, in die er sich gehüllt hatte, um sich vor Iowa zu schützen, hielt eine Glock 17 vor sich, aus der er aufmerksam und bedächtig 9-Millimeter-Patronen auf eine Plastikmilchflasche in zwölf Meter Entfernung abfeuerte. Hinter ihm stand eine Frau, deren Haut und Haare dunkler waren als bei irgendjemandem sonst hier und die eine große, dickrandige Brille trug, für Richards Empfinden eine Generation-X-Brille, wobei Generation X mittlerweile wohl ein veralteter Begriff war. Sie lächelte, hatte offenbar Spaß. Sie war verliebt in den jungen Mann, der schoss.
    Mehr als an ihrer Frisur oder ihrer Kleidung erkannte man an der emotionalen Offenheit der beiden, dass sie nicht von hier kamen. Richard war hier mit der reservierten, ja abgebrühten Art groß geworden, die diese Gegend ihren Männern einzutätowieren schien. Ein halbes Dutzend Freundinnen hatte das zum Wahnsinn getrieben, bis es ihm endlich gelungen war, sich ein wenig davon freizumachen. Wenn es ihm jedoch nützlich erschien, konnte er sich jederzeit wieder dahinter zurückziehen.
    Die junge Frau hatte sich zu ihm umgedreht und mit einer Geste, die bei einem Mann so viel bedeutete wie »Touchdown!« und bei einer Frau: »Komm, lass dich umarmen!«, ihre pinkfarbenen Handschuhe in die Luft gestreckt. Durch ein Lächeln hindurch sagte sie etwas zu ihm, was in Stücke zersprang, während die Gehörschützer den Lärm einer Reihe von 9-Millimeter-Schüssen neutralisierten.
    Richard zögerte.
    Vorzeichen eines Schocks überliefen das Gesicht der jungen Frau, als ihr klar wurde: E r erinnert sich nicht an mich . Doch in dem Moment und dieses Blickes wegen erkannte Richard sie. Aufrichtige Freude machte sich in seinem Gesicht breit. »Sue!«, rief er aus, und dann – zuweilen zahlte es sich nämlich aus, der Ahnenforscher der Familie zu sein – verbesserte er sich: »Zula!« Dann umarmte er sie behutsam. Unter den verschiedenen Schichten war sie, wie immer, gertenschlank. Und doch kräftig. Sie schwang sich auf die Zehenspitzen, um ihre Wange an seine zu drücken, löste sich wieder und federte zurück auf die Fersen ihrer riesigen gefütterten Stiefel.
    Er wusste alles über sie – und nichts. Sie musste jetzt Mitte zwanzig sein. Seit zwei Jahren mit dem College fertig. Wann hatte er sie das letzte Mal gesehen?
    Wahrscheinlich, bevor sie mit dem Studium angefangen
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