Erntedank
Wirtshäusern gehabt hatte. Dieser allerdings war nachgebaut.
Hefele hielt eine Packung Papiertaschentücher in der Hand und zog eines heraus, um es Frau Sutter zu geben, die sich etwas gefasst hatte.
»So«, sagte Kluftinger entschlossen, zog seine Hosenbeine etwas hoch und setzte sich an den Kachelofen. Er hatte nicht vor, die Frau des Toten lange zu behelligen, da es ihr aber etwas besser zu gehen schien, wollte er ihr doch einige Fragen stellen, um wenigstens Ansatzpunkte für die ersten Ermittlungsschritte zu haben.
»Frau Sutter, wenn Sie können, wäre es gut, wenn Sie uns von Ihrem Mann erzählen würden.«
»Natürlich, ich verstehe.« Die Frau bemühte sich nach Kräften, Fassung zu bewahren. »Was wollen Sie wissen?«
»Was macht Ihr Mann beruflich?«, fragte Kluftinger, der bewusst auf die Vergangenheitsform verzichtete: Das Präsens würde ihr möglicherweise weniger bewusst machen, dass ihr Ehemann nicht mehr am Leben war. Das immerhin war von einer Fortbildung hängen geblieben, in der es um Fragetechniken bei Mordoder Unfallopfern nahestehenden Personen ging. Sonst wusste er von diesem Seminar eigentlich nur noch, dass es damals gute Wienerle gegeben hatte.
»Er ist Reiseveranstalter«, sagte sie. Kluftinger sah sie nur an. Nach ein paar Sekunden Pause fuhr sie von sich aus fort. Auch eine Technik, die er einmal bei einem Seminar gelernt hatte.
»Er organisiert Tagesfahrten, vor allem für ältere Leute. Die bekommen so einen Tag Urlaub für wenig Geld und haben Gelegenheit, nützliche Dinge zu kaufen.«
»Was sind das für Dinge?«
»Nun, Resonanzgeräte, Magnetfelddecken, Materialien für die Aromatherapie. Das Neueste sind Strahlen-Neutralisatoren.«
Der Kommissar fragte nicht nach, worum es sich dabei handelte. Sie würden noch genug Zeit haben, solche Details zu klären. »Kaffeefahrten also?«, resümierte er stattdessen.
»Tagesfahrten, Herr Kluftinger. Ich hasse den Ausdruck ›Kaffeefahrten‹ und mein Mann auch. Die Leute müssen da nichts kaufen, verstehen Sie?« Sie klang, als habe sie diese Rechtfertigung nicht zum ersten Mal benutzt.
Kluftinger versuchte sofort, das Gespräch wieder in ruhigere Bahnen zu lenken: »Frau Sutter, gehen die Geschäfte Ihres Mannes gut?«
»Nun, sonst hätten wir uns dieses Haus kaum leisten können. Ja, ich denke, sie gehen sehr gut. Aber übers Geschäft sprechen wir kaum.«
Augenscheinlich war es die richtige Taktik, in der Gegenwartsform von Sutter zu sprechen. »Wo befindet sich die Firma?«
»In Ursulasried, im Gewerbegebiet. Gernot, mein Mann, braucht Platz zum Lagern der Waren, die er verkauft.«
»Wie heißt der Betrieb?«
»Steinbock-Touristik. Das Sternzeichen von Gernot.«
»Führt Ihr Mann die Firma allein?«
»Ja. Er hat eine Mitarbeiterin, eine Art Sekretärin und einige Verkäufer – ich meine Reisebegleiter, die auf den Fahrten dabei sind. Aber die sind nicht fest angestellt … Ansonsten macht er alles selbst.«
Kluftinger wunderte sich. Die Kaffeefahrten passten nicht in das Bild, das Sutter ihm mit seinem Haus bot. Alles wirkte gediegen und stilvoll, nicht neureich, nicht aufgesetzt, nicht übertrieben.
Arzt, Rechtsanwalt, irgendein anderer Akademiker, das hätte er erwartet, aber ein Kaffeefahrten-Heini?
»Ihr Mann muss sicher viel arbeiten. Hat er da noch Zeit für die Familie und die Kinder?«
»Er nimmt sie sich. Er liebt Melvin und Alina über alles. Wir unternehmen jedes Wochenende etwas zusammen, gehen zum Baden, machen Ausflüge, im Winter zum Skifahren. Wenn man es sich richtig einteilt, geht das schon. Obwohl Gernot auch sonst viele Verpflichtungen hat. Er ist Elternbeiratsvorsitzender an der Grundschule; Alina ist jetzt neun, Melvin geht ja schon aufs Gymnasium in Kempten. Mein Mann ist Kassier im Tennisclub, da ist er natürlich auch eingespannt«, sagte Frau Sutter, der scheinbar immer weniger präsent war, was geschehen war.
»Sie arbeiten nicht?«
»Stundenweise in einer Boutique in Kempten. Aber mehr, um mir die Zeit zu vertreiben. Und jetzt, wo auch Jacqueline sich um die Kinder kümmert … «
Auf Kluftingers fragenden Blick erklärte Frau Sutter » … ein Au-pair-Mädchen aus unserer französischen Partnergemeinde, die für ein Jahr bei uns ist.«
Nobel, nobel, dachte sich Kluftinger. Und wie gut der Name zu Melvin und Alina passte …
»Frau Sutter, hatte Ihr Mann Feinde, war er in seinen letzten Tagen anders als sonst, war er verschlossener?« Kluftinger verfluchte sich innerlich.
Weitere Kostenlose Bücher