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Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)
Autoren: Louis Begley
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werden die ewige Einsamkeit meiner Überreste zur Kenntnis nehmen. Deshalb muss es in Wahrheit so sein, dass ich bekümmert bin, weil die Erinnerung an das Glück, das wir teilten, mit meinem Tod erlischt. Unser Glück, das jetzt, da sie tot ist, stagniert, ein Verlust, den keine Hoffnung wettmachen kann, auch nicht die Aussicht, die Proust vielleicht tröstlich gefunden hätte, dass unsere Bücher noch eine Weile in Schaufenstern und auf Regalen von Buchhandlungen ausgestellt sein werden. Der Streit und die Vorwürfe, von denen Jamie gesprochen hatte? Die waren mir so fremd wie die Sitten der vollkommen isolierten Stämme am Amazonas, die Lévi-Strauss in Tristes Tropiques katalogisiert hat. Bella und ich hatten nie Streit. Gelegentlich quälte mich die Erkenntnis, dass ich mich dumm benommen oder sie meine Handlungen falsch verstanden hatte oder dass sie oder ich weniger rigide auf diese oder jene zufällige Nichtigkeit hätten reagierenkönnen, aber wir lernten, schnell zu heiterer Gelassenheit zurückzufinden, und kein Bodensatz von Bitterkeit blieb, jedenfalls bei mir. Die Götter nahmen und vernichteten unsere kleine Agnes. War das der Preis, den wir für ihren Segen zahlen mussten?
    In der New York Times las ich von der Bombenexplosion außerhalb der Imam-Ali-Moschee in Nadschaf, des wichtigsten Heiligtums der irakischen Schiiten. Ungefähr hundert Menschen waren bei dem Anschlag ums Leben gekommen, darunter auch ein Ajatollah, der lange gegen Saddam opponiert und geholfen hatte, Unterstützung für die Amerikaner aufzubauen. Der Schaden am Gebäude selbst war Berichten zufolge erheblich. Das Telefon klingelte und schreckte mich auf: So gut wie alle meine Bekannten hatten das Telefonieren aufgegeben und schrieben stattdessen E-Mails. Die Anruferin war Lucy. Sie sei in Little Compton, gelangweilt und stinkwütend. Ihre Goddard-Verwandten hätten sie nicht zum Picknick am Labor Day eingeladen. Sie habe lange gegrübelt, ob sie nicht nach New York zurücksolle, um nicht das Gesicht zu verlieren, und dann sei ich ihr eingefallen. Es sei eine Anfrage in letzter Minute, aber könne ich sie am Labor-Day-Wochenende aufnehmen? Dann käme sie am nächsten Tag. Keine Sorge, sagte sie noch, ich fahre am Dienstag wieder ab. Wir machen es uns schön, ganz wie in alten Zeiten.
    Sie klang wie die alte Lucy: munter, redselig und eine Spur ungestüm. Ich sagte ihr, dass ich natürlich entzückt sei, sie zu Gast zu haben, sie müsse sich jedoch klarmachen, dass ich kein nennenswertes gesellschaftliches Leben führe, dass zwar mein Fernsehapparat beim letzten Mal funktioniert habe, ich aber sonst nichts zu ihrer Unterhaltung zu bieten hätte.
    Ich komme rechtzeitig für Drinks, erwiderte sie und bat um eine Wegbeschreibung.
    Bei ihrer Ankunft sah ich angenehm überrascht, wie anders sie wirkte als die Frau, deren quälenden Erinnerungen und Kommentaren ich während der vielen langen Gespräche im Mai und Juni zugehört hatte. Der strenge, anklagende Ton war verschwunden; sie machte Witze über die Sommeraktivitäten im Club in Little Compton und über das grauenhafte Treffen mit ihrem Bruder John am Unabhängigkeitstag im Ausable Club; sie mokierte sich, dass Priscilla van Buren sie auf der Verlobungsparty der kleinen Vanderbilts in Newport wie Luft behandelt habe. Ihr Aussehen hatte sich auch zum Besseren verändert. Lag das an der Kombination von Sonnenbräune und einem neuen rosafarbenen Lippenstift? Ich wusste es nicht zu sagen, aber sie sah jünger und weniger hart aus und glich wieder dem Bild, das ich mir aus den fünfziger Jahren in Paris bewahrt hatte. An diesem Abend machte ich es wie sie und servierte ihr ein nachmittags im Supermarkt gekauftes kaltes Brathuhn, dazu Tomatensalat, Käse, den ich zufällig im Kühlschrank hatte, und Melone. Sie aß herzhaft, trank fast eine ganze Flasche Wein, wollte keinen Kaffee und schlurfte ins Bett. Ich warnte sie: Tagsüber würde ich arbeiten, zum Lunch gebe es nur Sardinen oder Thunfisch aus der Dose, und bis es Zeit für Drinks sei, bleibe sie sich selbst überlassen. Das ist mir ganz recht, sagte sie.
    Ich habe mich noch nie ausschließlich auf meinen Text konzentrieren können. An diesem Tag vertrödelte ichviele Minuten, und in meiner Faulheit konnte ich nicht umhin, erfreut festzustellen, dass sie gut zwei Stunden am Pool verbrachte – mit Schwimmen, erzählte sie mir später, und dann mit Sonnenbaden –, und nachdem sie an meine Tür geklopft und gefragt hatte, ob ich
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