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Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Wohnungen hätten nicht genug Zimmer, erzählte sie weiter, aber man könne sich behelfen. Wenn man allerdings abends spät nach Hause komme, sei die Gegend so weit im Norden ein großes Problem. Dann müsse man sehr vorsichtig sein. Deshalb wollten sie noch nicht gleich Kinder haben, sondern ein paar Jahre damit warten, sagte Molly. Das Bild, das mir die Welds vermittelt hatten, erschien mir im Ganzen vernünftig; es war ziemlich genau das, was ich erwartet hatte.
    Lucys und Thomas’ Bleibe war auf einem anderen Niveau. Ein Partner bei Kidder, vielleicht sogar Mr. Gordon selbst, hätte sich in diesem Apartment sehr zu Hause gefühlt. Ich hatte flüchtig den Eindruck, dass die Wohnung und alles, was damit zusammenhing, großen Ärger verhieß. Die Kosten würden Thomas’ Mittel nochjahrelang übersteigen, auch wenn er schnell zur Partnerschaft aufstieg. Das hieß, Lucy hatte sich darauf einzurichten, dass sie zahlen – und gute Miene dazu machen musste. Ich konnte mir vorstellen, wie neidisch, wenn nicht missgünstig Thomas’ Kollegen waren, die nicht auf einen Fonds wie den von Lucy zurückgreifen konnten. Welche Wirkung diese Luxuswohnung auf Thomas’ Mutter, Vater, Tanten, Onkel und Vettern haben würde – vorausgesetzt, sie wurden zu einem Besuch eingeladen –, darüber konnte ich nicht einmal spekulieren. Eine unerfreuliche Folge mochten die im Kollektiv hochgezogenen Brauen der De Bourghs sein, wenn sie sahen, in welch feudale Umgebung ihr Familienvermögen den Sohn des Mannes versetzt hatte, der in seiner Autowerkstatt in Newport die Dellen aus den Jaguars und Bentleys ihrer Freunde beseitigte. Würden sie gottesfürchtige Befriedigung empfinden, weil Geld, das mit dem Verkauf von menschlicher Fracht verdient worden war, zu tugendhaftem Nutzen verwendet wurde, indem es einem vielversprechenden jungen Mann niedriger Herkunft zu einem guten Start verhalf? Wohlwollende Erheiterung oder Verstimmung? Lucys De Bourghs Gefühle lagen dicht unter der Oberfläche. Schlicht waren sie wohl kaum, fürchtete ich.
    Ich schüttelte diese Erinnerungen ab. Lucy, inzwischen gut vierzig Jahre älter als die maitresse de la maison , über die ich sinniert hatte, kam ins Zimmer und bot mir die Wange zum Kuss. Die Lucy von damals hatte nach L’Heure Bleue und Sandelholzseife, ihrer anderen Lieblingskreation von Guerlain, geduftet. Die neue Version roch ganz leicht nach Mottenkugeln – hatte sie den weißen Kaschmirpullover, den sie trug, im Sommer eingemottet und vor dem Anziehen nicht gut genug gelüftet? –, und wenn man ihr nahe kam, während sie redete, so nahe, wie ich jetzt, da sie mir die Wange zum Kuss bot, war der Geruch irgendwie säuerlich. Vielleicht litt sie an Mundtrockenheit.
    Schön, schön, sagte sie, du bist ja wirklich gekommen!
    War das irgendwie zweifelhaft?, entgegnete ich. Ich habe deine Einladung doch angenommen.
    Das hast du, aber an dem Ballettabend warst du nicht besonders glücklich, mich zu sehen. Ein glanzloses Gespenst aus deiner Vergangenheit, eine Frau, die dich allein zu einem Dinner einlädt, weil sie keine glamourösen Gäste zu deiner Unterhaltung auftreiben kann? Natürlich hat mich dieser Gedanke nicht davon abgehalten, aber ich habe damit gerechnet, dass du mir per E-Mail erklärst, du seiest krank geworden oder habest abreisen müssen, oder Gott weiß welchen anderen Schwindel erzählst. E-Mails machen das Lügen leicht.
    Weil sie sah, dass ich widersprechen wollte, sagte sie noch: Lass nur, darüber können wir später reden, das hat noch Zeit. Was möchtest du trinken?
    Ich fragte mich, ob sie erraten hatte, wie nahe sie der Wahrheit gekommen war. Ich war sehr in Versuchung gewesen, sie wissen zu lassen, dass ich von Arbeitslasten wie gelähmt sei, und ihr zu versprechen, dass ich mich melden würde, sobald die Krise vorbei war. Was hatte mich davon abgehalten? Zum Teil eine sonderbare neue Form von Pietät, das Gefühl, dass ich, um meine Toten zu versöhnen, die zahlreicher waren als mir nahestehende Lebende, ihnen das Opfer bringen müsse, auch mit leidigen Bekannten und mit den alten Freunden, die jetzt nur noch leidige Bekannte waren, rücksichtsvoll und nachsichtig umzugehen, ebenso wie mit etwas mangelhaften Haushälterinnen, Putzfrauen, Stenotypistinnen, persönlichen Assistenten, Buchhaltern, Ärzten, Zahnärzten, Friseuren und vielleicht sogar meinem Literaturagenten und meinem Lektor. Triftiger war ein anderer Grund: Unsere zufällige Begegnung an dem Ballettabend

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