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Erinnerung an meine traurigen Huren

Erinnerung an meine traurigen Huren

Titel: Erinnerung an meine traurigen Huren
Autoren: Gabriel García Márquez
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Jugend bin ich ins Freilichtkino gegangen, wo wir ebenso von einer Mondfinsternis wie von einem verirrten Regenguss und einer nachfolgenden Lungenentzündung überrascht werden konnten. Mehr als die Filme interessierten mich jedoch die Nachtvögelchen, die für den Preis der Eintrittskarte, umsonst oder auf Pump mit einem schliefen. Denn das Kino ist nicht meine Sache. Der geradezu obszöne Kult um Shirley Temple war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
    Gereist bin ich kaum: viermal zu den Blumenspielen in Cartagena de Indias, als ich noch keine dreißig war, und einmal, es war eine unangenehme Nachtfahrt mit dem Motorboot, nach Santa Marta, eingeladen von Sacramento Montiel, die dort ein Bordell eröff-nete. Was mein häusliches Leben angeht, so esse ich wenig und bin leicht zufrieden zu stellen. Nachdem Damiana alt geworden war, wurde zu Hause nicht mehr gekocht, und meine einzige regelmäßige Mahlzeit bestand aus der Kartoffeltortilla im Café Roma nach Redaktionsschluss.
    Also hatte ich am Tag vor meinem Neunzigsten nicht zu Mittag gegessen und konnte mich in Erwartung einer Nachricht von Rosa Cabar-cas nicht auf meine Lektüre konzentrieren. Die Zikaden schrillten nach Leibeskräften in der Hitze der zweiten Mittagsstunde, und die Sonne zwang mich bei ihrer Runde um die offenen Fenster, dreimal mit der Hängematte umzuziehen. Ich hatte schon immer gemeint, dass der heißeste Tag des Jahres in die Zeit um meinen Geburtstag fiel, hatte auch gelernt, das zu ertragen, doch an jenem Tag war ich nicht in der Verfassung. Um vier Uhr versuchte ich, mich mit den sechs Cellosuiten von Johann Sebastian Bach in der endgültigen Interpretation von Pablo Casáis zu besänftigen. Für mich sind diese Suiten das Allerweiseste in der Musik, doch statt mich wie üblich zu beruhigen, verschlimmerten sie meinen Zustand. Bei der zweiten, die ich ein wenig schleppend finde, nickte ich ein, und im Traum mischte sich das Klagen des Cellos mit dem eines traurigen Dampfers, der ablegte. Gleich darauf schreckte mich das Telefon auf, und die rostige Stimme von Rosa Cabarcas erweckte mich wieder zum Leben. Du hast das Glück des Narren, sagte sie. Ich habe einen Backfisch gefunden, viel besser noch als von dir gewünscht, aber die Kleine hat einen Makel: Sie ist kaum vierzehn. Ich habe nichts dagegen, Windeln zu wechseln, scherzte ich, ohne ihre Beweggründe zu verstehen. Es geht nicht um dich, sagte sie, aber wer bezahlt mir die drei Jahre Gefängnis ?
    Niemand würde dafür zahlen, und sie schon gar nicht, das war klar. Sie pflückte ihre Früchte unter den Minderjährigen, die in ihrem Laden einkauften, lernte sie an und presste sie aus, bis sie dann als diplomierte Huren ein übleres Leben im denkwürdigen Bordell der Negra Eufemia begannen. Nie hatte Rosa Cabarcas eine Strafe gezahlt, denn ihr Patio war das Arkadien der lokalen Behörden, vom Gouverneur bis zum letzten Spitzbuben aus der Bürgermeisterei, und es war kaum vorstellbar, dass es der Herrin des Hauses an Einfluss fehlte, um nach Gutdünken das Gesetz zu übertreten. Also wollte sie mit ihren Skrupeln im letzten Moment wohl nur weitere Vorteile aus ihrer Gefälligkeit schlagen: je strafbarer, desto teurer. Der Konflikt wurde mit einem Aufschlag von zwei Pesos für die Dienstleistungen behoben, und wir vereinbarten, dass ich um zehn Uhr mit fünf Pesos, bar und im Voraus zu zahlen, bei ihr erscheinen würde. Keine Minute früher, denn das Mädchen musste die kleinen Geschwister abfüttern und schlafen legen sowie die vom Rheumatismus geplagte Mutter ins Bett bringen.
    Bis dahin waren es noch vier Stunden. Indes sie vergingen, füllte sich mir die Brust mit beißendem Schaum, der mir das Atmen schwer machte. Ich unternahm den fruchtlosen Versuch, mir die Zeit mit den Formalitäten des Ankleidens zu vertreiben. Gewiss nichts Neues, denn sogar Damiana sagt, dass ich mich nach dem Ritual eines Bischofs anziehe. Ich schnitt mich mit dem Rasiermesser, musste warten, bis das in den Rohren von der Sonne aufgeheizte Duschwasser abkühlte, und schon die kleine Anstrengung beim Abtrocknen brachte mich erneut zum Schwitzen. Ich kleidete mich dem glücklichen Anlass des Abends gemäß: weißer Leinenanzug, blau gestreiftes Hemd mit steif gestärktem Kragen, eine Krawatte aus chinesischer Seide, die mit Zinkweiß aufgefrischten Halbschuhe und die Uhr aus schwerem Gold samt Kette, die im Knopfloch des Revers befestigt war. Zum Schluss schlug ich die Hosenbeine nach innen
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