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Erinnerung an meine traurigen Huren

Erinnerung an meine traurigen Huren

Titel: Erinnerung an meine traurigen Huren
Autoren: Gabriel García Márquez
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sie strenge Trauer, die sie mit einer Art schwarzem Barett noch gesteigert hatte, nachdem ihr einziger Sohn, Helfer in kniffligen Lagen, gestorben war. Lebendig waren nur noch ihre durchsichtigen, grausamen Augen, und daran merkte ich, ihr Wesen hatte sich nicht verändert.
    An der Decke des Ladens hing eine schwächliche Lampe, und in den Regalen lagen kaum Waren, eine kümmerliche Staffage für ein Geschäft, das alle kannten, aber niemand anerkannte. Rosa Cabarcas bediente gerade einen Kunden, als ich auf Zehenspitzen eintrat. Ich weiß nicht, ob sie mich wirklich nicht erkannte oder nur so tat, um die Form zu wahren. Ich setzte mich auf die Wartebank und versuchte sie mit den Augen der Erinnerung so zu sehen, wie sie gewesen war. Mindestens zweimal hatte sie mich, als wir beide noch in Saft und Kraft standen, von der Not erlöst. Ich glaube, sie hatte meine Gedanken gelesen, denn sie drehte sich zu mir um und musterte mich beunruhigend intensiv. Für dich vergeht die Zeit nicht, seufzte sie traurig. Ich wollte ihr schmeicheln: Für dich schon, aber es bekommt dir. Im Ernst, sagte sie, selbst deine Ähnlichkeit mit einem toten Pferd kommt wieder heraus. Vielleicht weil ich den Futtertrog gewechselt habe, erwiderte ich verschmitzt. Sie wurde munter. Soweit ich mich erinnere, hattest du den Prügel eines Galeerensklaven, sagte sie. Wie steht's um ihn? Ich wich aus: Seit damals hat sich nur geändert, dass mir zuweilen der Hintern brennt. Ihre Diagnose erfolgte sofort: mangelnder Gebrauch. Er dient mir nur für das, wofür Gott ihn mir gegeben hat, sagte ich; tatsächlich brannte mir der After schon seit geraumer Zeit und immer bei Vollmond. Rosa kramte in ihrem Nähkasten und öffnete dann eine Dose mit einer grünen Pomade, die nach Arnika roch. Sag der Kleinen, sie soll sie dir mit ihrem Fingerchen auftragen, so, und sie bewegte den Zeigefinger mit schlüpfriger Eloquenz. Ich entgegnete, dass ich Gott sei Dank noch ohne Indiosalben zurechtkäme. Sie spottete: Ach, Meister, sei mir gnädig und verzeih. Und kam zur Sache. Die Kleine sei seit zehn Uhr in dem Zimmer, sagte sie; sie sei schön, sauber und wohlerzogen, allerdings voller Angst, da eine ihrer Freundinnen, die sich mit einem Stauer aus Gayra davongemacht habe, in zwei Stunden verblutet sei. Na ja, räumte Rosa ein, verständlich, die aus Gayra haben schließlich den Ruf, auch Mauleselinnen zum Singen zu bringen. Und nahm den Faden wieder auf: Arme Kleine, sie muss neben allem anderen auch noch den lieben langen Tag in einer Fabrik Knöpfe annähen. Mir schien das kein besonders schwerer Beruf zu sein. Das können auch nur Männer glauben, entgegnete sie, tatsächlich ist es schlimmer als Steineklopfen. Außerdem gestand sie mir, dem Mädchen einen Trunk aus Bromid mit Baldrian gegeben zu haben und dass es nun schlafe. Ich fürchtete, dass ihr Mitgefühl eine weitere List war, den Preis hochzutreiben, aber nein, sagte sie, mein Wort ist Gold wert. Nach festen Regeln: jede Leistung extra, bar auf die Hand und im Voraus. So geschah es.
    Ich folgte ihr über den Patio, war gerührt über ihre welke Haut und den beschwerlichen Gang ihrer geschwollenen Beine, die in groben Baumwollstrümpfen steckten. Der Vollmond näherte sich der Himmelsmitte, und die Welt wirkte wie in grünes Wasser getaucht. Neben dem Laden war der Patio für die Feste der Behörden mit Palmstroh überdacht, es gab zahlreiche Lederhocker und Hängematten, die an den Pfeilern baumelten. Im Hinterhof, dort wo der Obsthain begann, befand sich ein flaches Gebäude aus unverputztem Lehm mit sechs Zimmern, die Fenster vergittert gegen die Mücken. Nur ein Zimmer war besetzt und halb erleuchtet, und im Radio sang Toña la Negra ein Lied von gescheiterter Liebe. Rosa Cabarcas holte tief Luft: Der Bolero ist das Leben. Ich war ganz ihrer Meinung, habe jedoch bis heute nicht gewagt, das auch niederzuschreiben. Sie stieß die Tür auf, ging hinein und kam nach einem Augenblick wieder heraus. Sie schläft immer noch süß, sagte sie: Du tätest gut daran, sie so lange schlafen zu lassen, wie ihr Körper es verlangt, schließlich ist deine Nacht länger als die ihre. Ich war verwirrt: Was, glaubst du, soll ich tun? Du wirst es schon wissen, sagte sie mit unangebrachter Gelassenheit, schließlich bist du der Gelehrte. Sie kehrte um und ließ mich allein mit der Angst. Es gab kein Entrinnen. Ich trat in das Zimmer, und mein Herz schlug wie verrückt, auf dem riesigen Mietbett sah ich das schlafende
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