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Erinnerung an meine traurigen Huren

Erinnerung an meine traurigen Huren

Titel: Erinnerung an meine traurigen Huren
Autoren: Gabriel García Márquez
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lernte die Unruhe meiner Freunde deuten, wenn sie nicht wagten, mich darauf hinzuweisen, dass ich ihnen dieselbe Geschichte vor einer Woche schon einmal erzählt hatte. Damals hatte ich eine Liste bekannter Gesichter im Gedächtnis und eine weitere Liste mit den dazugehörigen Namen, doch wenn es ans Begrüßen ging, konnte ich Gesichter und Namen nicht zur Deckung bringen.
    Sexuell hat mir mein Alter nie große Sorgen gemacht, denn meine Manneskraft hing weniger von mir ab als von den Frauen, und sie wissen, worauf es ankommt, wenn sie wollen. Heute lache ich über die Jungs, die, erschrocken ob derlei Missgeschick, mit achtzig den Arzt aufsuchen und nicht wissen, dass es mit neunzig noch ärger wird, aber nicht mehr so wichtig ist: Es ist das Risiko, wenn man noch lebt. Ein Triumph des Lebens hingegen ist, dass wir Alten das Gedächtnis für unwesentliche Dinge verlieren, es uns aber nur selten im Stich lässt, wenn etwas wirklich wichtig ist. Cicero hat das mit einem Federstrich illus-triert: Kein Greis vergisst, wo er seinen Schatz vergraben hat.
    Aus diesen und ein paar anderen Überlegungen hatte ich einen ersten Entwurf der Glosse fertig gestellt, als die Augustsonne zwischen den Mandelbäumen im Park explodierte und der Flussdampfer mit der Post, wegen der Dürre eine Woche verspätet, tutend in den Hafenkanal einfuhr. Ich dachte: Da kommen meine neunzig Jahre. Ich werde nie wissen warum und will es auch gar nicht, aber genau in dem Augenblick und mit dem Wunsch, dieses niederschmetternde Bild zu bannen, beschloss ich, Rosa Cabarcas anzurufen, sie sollte mir dabei helfen, meinen Geburtstag mit einer libertinen Nacht zu begehen. Schon seit Jahren lebte ich in heiligem Frieden mit meinem Körper, las wahllos meine Klassiker wieder, stellte mir meine privaten Programme klassischer Musik zusammen, doch an jenem Tag war mein Begehren so drängend, dass es mir ein göttlicher Fingerzeig zu sein schien. Nach dem Anruf konnte ich nicht mehr weiterschreiben. Ich befestigte die Hängematte in einem Winkel der Bibliothek, den die Morgensonne nicht erreicht, und legte mich hinein, das Herz verkrampft in sehnsüchtigem Warten.
    Ich war das verhätschelte Kind einer vielseitig begabten Mutter, die mit fünfzig von der Schwindsucht dahingerafft wurde, und eines pedantischen Vaters, dem nie ein Fehler nachgesagt werden konnte und der genau an dem Tag morgens tot in seinem Witwerbett lag, als der Vertrag von Neerlandia unterzeichnet wurde, der dem Krieg der Tausend Tage und den vielen Bürgerkriegen des letzten Jahrhunderts ein Ende setzte. Der Frieden veränderte die Stadt auf unvorhergesehene und unerwünschte Weise. Ein Schwarm freier Frauen brachte Rausch und Raserei in die alten Kneipen an der Calle Ancha, die später Camellón Abello hieß und heute Paseo Colón, in dieser Stadt meines Herzens, die von Hiesigen und Fremden wegen der Liebenswürdigkeit ihrer Menschen und der Reinheit ihres Lichts geschätzt wird.
    Ich habe nie mit einer Frau geschlafen, ohne dafür zu zahlen, und die wenigen, die nicht vom Gewerbe waren, überzeugte ich kraft Vernunft oder Gewalt, das Geld anzunehmen, und sei es nur, damit sie es später in den Müll warfen. Ich war um die Zwanzig, als ich begann, ein Verzeichnis anzulegen, in dem ich Namen, Alter, Ort und eine knappe Gedächtnisstütze über die Umstände und die stilistischen Eigenarten notierte. Bis zu meinem Fünfzigsten waren es fünfhundertvierzehn Frauen, mit denen ich mindestens einmal zusammen gewesen war. Ich führte die Liste nicht weiter, als der Körper nicht mehr so viel hergab und ich nichts Schriftliches brauchte, um den Überblick zu behalten. Ich hatte meine eigene Ethik. An Gruppenspielchen oder öffentlichen Orgien beteiligte ich mich nie, ich teilte keine Geheimnisse und erzählte nie ein Abenteuer des Leibes oder der Seele weiter, weil ich schon früh merkte, dass nichts davon ungestraft bleibt.
    Lediglich mit der treuen Damiana unterhielt ich über Jahre eine seltsame Beziehung. Sie war fast noch ein Kind, kräftig und wild, sie hatte Indiozüge, war kurz angebunden und entschieden, und sie bewegte sich barfuß durchs Haus, um mich nicht beim Schreiben zu stören. Ich erinnere mich daran, dass ich gerade Die schöne Andalusierin in der Hängematte im Gang las, als ich zufällig sah, wie Damiana sich über den Waschtrog beugte, wobei der kurze Rock ihre köstlichen Kniekehlen freigab. Ich hob ihn von hinten hoch, ergriffen von einem unwiderstehlichen Fieber,
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