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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Autoren: Henning Mankell
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gegeben.
    »Den wollte ich dir schenken.«
    »Ist es der gleiche, den du mir für Isabel gegeben hast?«
    »Ja.«
    »Damals hast du gesagt, dass der Zauber bei ihr nicht wirken konnte, weil sie von zu vielen weißen Menschen umgeben war, die ihr alle Kräfte raubten. Warum gibst du ihn mir?«
    »Weil du nicht bist wie alle anderen Menschen. Ich weiß, dass man dich Ana Branca nennt. Aber das ist falsch. Für mich bist du Ana Negra.«
    ›Die schwarze Ana‹, dachte sie. Ist das wirklich mein Name?
    »Deine letzte Aufgabe im Leben als weiße Frau, als die du geboren bist, ist, meine Eltern ausfindig zu machen«, sagte Moses. »Danach bist du eine von uns, Ana Negra.«
    »Was geschieht, wenn mir Flügel wachsen?«
    »Dann kommst du dahin, wo ich bin.«
    Ohne ein weiteres Wort gab er ihr den Beutel, kletterte über die Mauer und verschwand auf der anderen Seite. Es ging so schnell, dass sie nicht reagieren konnte.
    Sie setzte ihre Suche fort, fand aber die Eltern nicht. Niemand schien ihren Namen zu kennen. Jeden Abend kehrte sie ins Hotel zurück und sah den Lederbeutel auf dem Tisch liegen. Jeden Morgen stand sie am Fenster, aber Moses zeigte sich nicht mehr.
    Schließlich gab sie auf. Isabels und Moses’ Eltern waren von dem schwarzen Menschengewimmel verschluckt. Sie würde sie nie finden. Was sie sich am allermeisten wünschte, Moses wieder im Garten stehen zu sehen und dann mit ihm über die hohe Steinmauer zu verschwinden, würde niemals Wirklichkeit werden.
    An diesem Abend packte sie ihre Habseligkeiten. Der Beutel lag da, unangerührt. Ihren Entschluss, sich zur Missionsstation zu begeben, hatte sie nicht geändert.
    Schließlich blieb nur noch das Tagebuch. Dieses Notizbuch, das sie mit einer roten Schleife zugebunden hatte, wollte sie auch loswerden. Sie dachte daran, es zu verbrennen, überlegte es sich aber anders, ohne richtig zu wissen, warum.
    Zufällig entdeckte sie, dass das Parkett in ihrem Zimmer, obwohl das Hotel fast neu erbaut war, bereits Ritzen aufwies. Als sie mit dem Finger eine dieser Ritzen abtastete, löste sich ein Stück des Parketts. Sie schob das Tagebuch möglichst weit unter das Holz und legte das lose Parkettstück zurück.
    Dann ließ sie einen der schwarzen Hausmeister kommen, der den Spalt versiegelte.
    Sie blieb noch einen weiteren Tag und eine Nacht im Africa Hotel. Die Hochzeitsgäste waren abgereist. Die weißen Luxusjachten auf Reede waren verschwunden. Das Hotel wirkte plötzlich verlassen.
    Am letzten Abend saß sie am offenen Fenster, wo der Vorhang sich in der Abendbrise vom Meer her bewegte. Sie schüttete den Inhalt des Lederbeutels in ihre Hand und schluckte das Pulver mit einem Glas Wasser.
    Niemand sah sie gehen, und niemand konnte später bezeugen, dass sie einen Wagen gemietet oder die Stadt auf einem Schiff oder auf einem Pferderücken verlassen habe.
    Als das Dienstmädchen am folgenden Tag das Zimmer betrat, lag das Entgelt in einem Kuvert auf dem Tisch.
    Ihre Taschen waren verschwunden.
    Niemand hat sie je wieder gesehen.

 
    Nachwort
     
    Im Grunde beruht alles, was ich schreibe, auf einer Wahrheit. Es kann eine große oder eine kleine Wahrheit sein, sie kann glasklar oder äußerst fragmentarisch sein. Aber trotzdem ist da immer etwas, was auf wirklichen Ereignissen beruht, und in meinem Buch führt es dann zur Fiktion.
    Wie hier und jetzt: Es war Tor Sällström, Schriftsteller und Afrikafreund, der bei einem Gespräch, fast wie in einem Nebensatz, von bemerkenswerten Dokumenten erzählte, auf die er in dem alten kolonialen Archiv in Maputo, der Hauptstadt von Moçambique, gestoßen war. Er hatte ihnen entnehmen können, dass eine Schwedin Ende des 19. Jahrhunderts, vielleicht auch noch Anfang des 20. Jahrhunderts, Besitzerin eines der größten Bordelle der Stadt war, die damals Lourenço Marques hieß. Sie wurde erwähnt, weil sie eine bedeutende Steuerzahlerin war.
    Nach einigen Jahren verliert sich ihre Existenz in den Dokumenten. Sie kommt aus dem Nichts und verschwindet so unmerklich, wie sie gekommen ist.
    Wer war sie? Woher kam sie? Ich habe weitergesucht, aber ihre Herkunft blieb tatsächlich ungeklärt, ebenso ihr Verschwinden. Alle Schlussfolgerungen mussten Theorien bleiben.
    Aber dass schwedische Schiffe im Hafen von Lourenço Marques anlegten, wissen wir. Meist waren sie, mit Holz beladen, auf dem Weg nach Australien. Und sicher zählten hier und da Frauen an Bord zur Besatzung, vor allem als Köchinnen.
    Alles Übrige musste mit anderen
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