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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg
Autoren: Lion Feuchtwanger
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befestigte er die Postkarte an der Wand über der Schreibmaschine. Dann erkundigte er sich voll Anteilnahme bei Anni Lechner, was Kaspar Pröckl ihr über sein Ergehen geschrieben habe.
    Vielleicht durch den Brief Kaspar Pröckls, vielleicht durch Jacques’ Gemeinsamkeit mit Johanna kam ein neuer Klang in das Buch Bayern : Empörung gegen die Justiz der Zeit. In jener Epoche redete man überall auf dem Planeten von einer Vertrauenskrise der Justiz. Der Begriff der Gerechtigkeit war unsicher geworden, schäbig. Man wußte zuviel von der menschlichen Seele, um die alten Begriffe von Gut und Böse gelten zu lassen, zuwenig, um neue an ihre Stelle zu setzen. In früheren Zeiten hatten bei einer Exekution die Zuschauer, ja häufig der Gerichtete selber, Befriedigung verspürt; denn es war einer Rechtsordnung Genüge geschehen, an die sich alle innerlich gebunden fühlten: jetzt war die Gerechtigkeitspflege von keinem lebendigen Gefühl mehr legitimiert, sie war zum bloßen Instrument der Macht und ihrer Bewahrung geworden, ihre Maßnahmen wirkten schwächlich, willkürlich. Möglich, daß in Bayern die Justiz besonders bösartig und verbohrt gehandhabt wurde, aber viel anders war es ringsum auch nicht. In Ungarn, auf dem Balkan, in Rußland stand es vielleicht noch schlimmer als auf der bayrischen Hochebene. Tüverlin hatte diese Tatsache bisher mit erkennerisch fatalistischer Skepsis hingenommen: jetzt nahm seine Skepsis die Züge des Zornes an, wurde schöpferisch. Das Unrecht hier in Bayern war ihm das nächste, er sah es mit seinen lebendigen Augen, er litt es mit, durch Johanna. Wollte er Bayern dichten, mußte er das bayrische Unrecht mitdichten. Auf den Deckel des Manuskripts hatte Anni Lechnersäuberlich geschrieben: »Das Buch Bayern«. Er fügte hinzu: »oder Jahrmarkt der Gerechtigkeit«.
    Am Abend des Tages, an dem Jacques Tüverlin diesen Untertitel festgelegt hatte, sprach er zum erstenmal mit Johanna Krain über sein Buch. Johanna konnte nur im Bilde denken, sie war getroffen von diesem Wort: Jahrmarkt der Gerechtigkeit, sie sah diesen Jahrmarkt bunt und leibhaft vor sich. Ein riesiger Haufen kahlen, wurmstichigen Gerümpels war da, Menschen irrten herum, ängstlich suchend nach etwas Brauchbarem, über jeder Bude waren Schilder: Gerechtigkeit, und die Verkäufer standen feierlich, in schwarzen Talaren.
    Johanna hütete sich, dieses Bild abzunutzen. In den Abenteuerbüchern ihrer Kindheit hatten die Araber ein Wort, mit dem sie in der Stunde der Gefahr ihre Pferde anfeuerten. Johanna, wenn sie in der Wirrnis der Aufnahmeapparate, inmitten der Krane, Gestänge, grellen Lampen, nach zehn mißglückten Versuchen keine Aussicht mehr sah, weiterzukommen, holte ihr Letztes aus sich heraus mit dem Wort: Jahrmarkt der Gerechtigkeit.
23
Ich hab’s gesehen
    München tanzte. Das neue Jahr war da, mit ihm der Fasching. Auf den Redouten der großen Brauereien, bei den Festen der unzähligen Kegelgesellschaften, Sparvereine tanzten die Kleinbürger, die Arbeiter, die Bauern, auf den Künstlerfesten, den Bällen der Studenten, Offiziere, Fememörder tanzten die Großbürger. Herr Pfaundler hatte alle Schrauben seines listenreichen Kopfes angedreht, um die behagliche Breite des früheren Faschings noch zu übertreffen. Es gab jeden Abend zwei große Feste, am Samstag fünf, und die üppigen Bilder der Revue waren diesmal nicht beeinträchtigt durch Tüverlinsche Ideen.
    München tanzte. München, bei der lärmvollen Musik der Française, hob die Frauen auf die verschränkten Arme, schubste sie hoch unter nicht abreißendem Jauchzen und Gegröl. München, um diesen fetten Fasching mitzumachen, versetzte Leib- und Bettwäsche. München, im grauenden Morgen, versammelte sich nach durchjubelter Nacht in primitiven Kneipen, Chauffeure, Marktweiber, befrackte Herren und flittermaskierte Damen, Straßenreiniger, Huren durcheinander, um Bier zu trinken und Weißwürste zu schlingen. München schrie losgebunden seine Seligkeit und seinen Wahlspruch hinaus: solang die grüne Isar und: ein Prosit der Gemütlichkeit.
    Herr von Grueber, mit verächtlichem Wohlwollen, schaute zu. Herr von Reindl, mit einem kleinen, schläfrigen Lächeln, ließ sich mittreiben. Herr Pfaundler triumphierte. Er hat den Riecher gehabt. Jetzt im Januar hat er München neu erobert, im Dezember wird er Berlin erobern. Denn München hatte sich erkraftet, es war, das gab auch der Reindl zu, wie früher. In unverwüstlicher Lebenslust war es emporgetaucht aus
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