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Erfindergeist

Erfindergeist

Titel: Erfindergeist
Autoren: Gmeiner-Verlag
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seit ein paar Jahren immer populärer. Der Park war mit Hunderten, vielleicht sogar Tausenden Kürbissen und Lampions dekoriert. Ich vermutete, dass man ihn damit so richtig gruselig beleuchten konnte. Vereinzelt entdeckte ich Skelette in den Bäumen hängen. Sogar einen kleinen Friedhof gab es. Auf den Grabsteinen standen Texte wie ›Hier ruht gut geerdet der Elektriker‹ oder ›Hier ruht die Putzfrau, sie kehrt nie wieder‹.
    Wenige Minuten später stand ich vor der Achterbahn. Verschiedene Häuschen mit heruntergelassenen Rollläden, vermutlich Imbissbuden und Ähnliches, waren zusammen mit einer größeren Freilichtbühne um einen kleinen Platz gruppiert, in dessen Mitte ein Notarztwagen und ein Leichenwagen parkten. Ein Beamter kam sofort auf mich zugelaufen. Ich zeigte ihm meinen Ausweis und forderte ihn auf, mich zum Tatort zu führen. Der Beamte lief mit mir zum Ausgang der Achterbahn, der mit einem niedrigen Drehkreuz gesichert war. Er betätigte irgendeine Mechanik und schwenkte damit das Drehkreuz fort. Ich folgte ihm durch einen verschlungenen Weg, der mir sofort die Orientierung raubte. Vor einem Holzspalierzaun blieb er stehen. »Kleine Abkürzung«, meinte er und schob ein Zaunelement zur Seite. Dahinter offenbarte sich mir ein weiterer schmaler Weg, der nach wenigen Metern in eine Treppe mündete. Da links und rechts des Pfades blickdichte Büsche wuchsen, war ich überrascht, als wir ohne Vorwarnung auf das Plateau gelangten, von wo aus die todesmutigen Besucher in die Achterbahn steigen konnten. Die Plattform wurde durch die Gleise der Achterbahn in zwei Hälften geteilt. Auf der uns gegenüberliegenden Seite kamen die erwartungsvollen Fahrgäste an, die in die Bahn stiegen. Nach der Fahrt verließen sie sie zu unserer Seite hin, um so zum Ausgang dieser Attraktion zu gelangen. Bestimmt 20 Personen wuselten hier herum. Ausgerechnet Staatsanwalt Borgia entdeckte mich als Erster. Wie meistens quittierte er mein Kommen mit einem provozierenden Blick auf seine Armbanduhr. Ohne Begrüßung, was ebenfalls typisch für ihn war, legte er los: »Bis Sie am Tatort auftauchen, ist das Opfer halb verwest. Wo bleiben Sie nur immer so lange? Warum gönnen Sie sich nicht mal Urlaub, vielleicht sind Ihre Kollegen schneller?«
    Ich hätte jetzt zurückschlagen können – ob verbal oder körperlich sei dahingestellt. Beides wäre suboptimal gewesen, obwohl ich es allzu gerne getan hätte. Am besten war es sicher, seinen Begrüßungsmonolog einfach zu ignorieren.
    »Wer ist der Tote, und wo hat man ihn gefunden?«
    Borgia stutzte einen Moment über meine Sachlichkeit. »Wolf Bernhardus, Gärtnermeister des Holiday Park. Gefunden hier oben.« Er zeigte auf den höchsten Punkt der Achterbahn.
    Ich blickte nach oben und mir wurde schwindelig. Von unserem Plateau aus verliefen die Schienen schätzungsweise 60 Meter steil in die Luft. Für mich war es unvorstellbar, dass dieses zweifelhafte Vergnügen freiwillig jemand auf sich nahm.
    Borgia spulte Einzelheiten herunter: »Die erste Leichenschau hat ergeben, dass ein relativer Nahschuss direkt von vorne in das diastolische Herz getroffen hat.«
    Ich wusste, was das bedeutete. Wenn ein Geschoss das Herz in blutgefülltem, also diastolischem Zustand traf, war das mit einem Schuss auf einen wassergefüllten Ballon vergleichbar.
    »Er war sofort tot«, berichtete der Staatsanwalt weiter. In diesem Moment schien er jemanden von Interesse zu entdecken. »Kommen Sie«, sagte er zu mir, »ich mache Sie mit dem Parkdirektor bekannt.« Borgia zeigte auf einen Mann in den besten Jahren. Ich schätzte ihn Mitte 50. Irgendetwas ließ ihn jung und beweglich aussehen, vielleicht waren es seine Gesichtszüge und die Art sich zu kleiden. Er trug sein Hemd mit Halstuch offen.
    Vermutlich lief er den ganzen Tag fröhlich durch den Park und kümmerte sich um das Wohlbefinden der Besucher. Ein Lachen konnte ich allerdings nicht ausmachen, das war in dieser Situation wohl auch nicht angebracht. Borgia stellte ihn mir als Werner Schleicher vor. Herr Schleicher schüttelte mir die Hand und schaute mir dabei fest in die Augen. Es hatte etwas Vertrauenerweckendes an sich.
    »Sie sind also der zuständige Ermittler?«, fragte er mich mit einer tiefen, angenehmen Stimme.
    »Nicht ganz, ich vertrete meinen Kollegen, der später nachkommen wird.«
    Borgia vernahm meine Antwort und glotzte mich mit runterhängendem Kiefer an. Ich konnte es mir nicht verkneifen und erklärte an ihn gewandt: »Sie
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