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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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in Ostfriesland und versuchte seit drei Tagen, unser Reetdach zu reparieren. Was habe ich für eine Ahnung von Reet? Ich habe Philosophie studiert. Ich frage auch niemanden, seitdem wir dorthin gezogen sind. Ich klettere einfach immer wieder hoch und versuche, den Schaden zu flicken. Die harten, spitzen Halme zerkratzen meine Haut. Ich habe überall Striemen und blaue Flecken, und neben der Leiter auf dem Mulch liegt ein ausgedruckter Wikipedia-Artikel über Reetdächer, der mir nicht weiterhilft. Du stehst mit einer Tasse heißem Hagebuttentee in der Tür des kleinen Hauses und guckst dir das Schauspiel an. Du lächelst milde, wenn Du pustest und der Tee sich kräuselt. Und ich fluche. Susanne, mein Gott, wie ich fluche. »Scheiß Reet!«, fluche ich und steige noch höher, balanciere auf dem Rahmen der Leiter, auf dem kein Mensch stehen darf, halte mich mit einer Hand an unserem defekten Dach fest und rufe den Spaziergängern auf dem Deich zu: »Es lebe der Dachziegel aus dem Ruhrgebiet!« Ich fluche so sehr, Susanne, und ich bin so glücklich.
    In einer anderen Vision versuche ich, mit all unseren männlichen Freunden Steckdosen in einem maroden Haus anzuschrauben, das wir gekauft haben und als Kinderheim benutzen. Das Geld reicht hinten und vorne nicht, die Steckdosen sind für fünf Cent das Stück vom Trödel und haben knallrote Rahmen.
    »Wer hat denn jemals knallrote Steckdosen in neu gekauft?«, fluche ich, weil auch die Heizung oben in unseren Büros nicht funktioniert und auf dem Jungenklo das Abflussrohr von der Wand gesprungen ist. Ich hebe den Kopf und sehe, wie Du im Hof mit den Kids ein altes Auto reparierst. Wir haben es für einen Euro auf eBay geschossen. Es dient Dir als Lehrobjekt. Seit Wochen baust Du mit den Jungs und Mädchen daran, und ich weiß nicht, ob sie Dir glauben, wenn du sagst, dass es eines Tages fahren wird, oder ob Du Dir sogar selbst glaubst. Das Wichtigste ist der Weg zum Ziel, der Traum, der sie antreibt. Das Auto ist knallrot wie der Steckdosenrahmen, der einfach nicht an die Wand will. Ich rutsche mit dem Schraubendreher ab, pikse ihn mir in die linke Hand und fluche. Ich fluche so sehr, Susanne, und ich bin so glücklich.
    Wir spazieren durch norwegische Wälder, wir alle vier, die WG-Familie. Irmtraut schwimmt in unserem Blockhaus in einem neuen Becken, und Yannick läuft vor uns her wie ein Hund, der Gassi geht. Vor unseren Mündern entstehen Wölkchen, obwohl es erst September ist. Die Abendsonne, die durch die Kronen fällt, ist glitzernd und weiß. Unser lieber Mitbewohner fängt an, kalifornische Lieder zu singen, und ich fluche, weil es in Norwegen so arschkalt ist und das nicht abzusehen war. Dann spüre ich plötzlich Baumwolle zwischen meinen Fingern. Es sind Deine in einem Handschuh von Emily The Strange, den Du im Laden mit den Motivklamotten nicht liegenlassen konntest. Ich fluche nicht mehr, rieche nur die Rinde und die vielen kleinen Duftnoten, die unsere Sohlen aus dem Boden wühlen. Dann wandert meine andere Hand auf Deinen Bauch und streichelt ihn und seine neue Bewohnerin. »Norwegian Wood«, säusele ich und beuge mich runter: »Hier kann Dir nichts passieren, mein Schatz.«
    Das sind die Visionen für mein Leben, und in allen spielst du die Hauptrolle!
    Ich wollte ins ewige Eis, Susanne, das war mein Ziel, bis Caterina mich angerufen und mir gesagt hat, ich müsse sofort nach Tunesien kommen, um ihr dabei zu helfen, eine junge Frau auf der Flucht vor ihrem bösen Gatten aus dem Land zu schleusen. Ich wollte nicht in die Wärme, sondern ins ewige Eis, auf die Insel Ensomheden in der sibirischen See. Ensomheden heißt Einsamkeit. Ein unbewohntes Stück Land mit einer alten russischen Funkstation. Ich wollte das Leben in mir einfrieren, weil es bei all der Trauer um den Verlust von Lisa immer noch einen Funken davon in mir gab. Und jedes Mal, wenn dieser Funken aufblitzte, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich konnte mir nicht erlauben, Kiefernadeln zu riechen und ihren Duft zu mögen. Das Meer rauschen zu sehen und mir vorzustellen, ich hielte Deine Hand. Ich wollte das, aber die Schuld erdrückte mich. Nur heute nicht, als ich die Blechdose zu den zwei Kindern rübergeschossen habe.
     
    Als wir uns kennenlernten, hast Du mich sofort durchschaut und mir deswegen ein Buch geschenkt, Lösungen . In unserem WG-Wohnzimmer hast Du mir das Kapitel über das Utopie-Syndrom vorgelesen. Darüber, dass Männer wie ich sich unerreichbare Ziele setzen, damit sie
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