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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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die Gesellschaft wie grauer Nebel. Ich möchte tot umfallen. In die Stille hinein klingelt ein Handy. Es ist Susannes Gerät, am hinteren Rand der Bühne neben den Schneiderpuppen.
    Sie geht hin und nimmt ab: »Mama! Ich habe eben geheira… äh, wir machen hier eine Zusammenkunft bei Jochen und Mario. Ist aber gerade schlecht.«
    »…«
    »Ja, ich weiß, dass in vier Wochen Mattes’ Rennbahnfest ist.«
    »…«
    »Mutter, das kriegen wir alles hin mit den Figuren. Ich werde versuchen, Caterina mit ins Boot zu holen, um die Gipsköpfe perfekt zu vergrößern.«
    »…«
    »Und was? Nee, ich weiß nicht, wo das Safrandöschen sich befindet.«
    Aha.
    Bei denen geht das Leben schon weiter, während ich noch sterbe. Mario schnippt in Richtung Nestor, und der beginnt zu spielen, während Jochen das Licht am Büfett einschaltet. Die Menge erhebt sich zögerlich, aber pietätvoll. Müssen ja nicht so viele um das Sterbebett herumstehen. Hartmut greift nach meiner Schulter. Ich ziehe sie weg, reiße die Anzugjacke so heftig vom Leib, dass sie Schaden nimmt, und springe von der Bühne. Während ich zum Ausgang laufe, halte ich Ausschau nach Yannick. Er stülpt sich auf dem Büfett über den Käseigel.
    »Warte doch!«, ruft Hartmut, und auch Martin stellt sich mir halb in den Weg. Er hält mich fest und sagt: »Ich habe eine gute Nachricht. Stolle lässt dich wieder aufs Feld!« Jochen und Mario flattern herbei und sagen: » Das war so nicht geplant.«
    Ich schreie: »Lasst mich doch alle in Ruhe!«
    Draußen vor dem Hof lädt der überfleißige Tortillafresser Caterinas Trolley in seinen SLK.
    Hartmut holt mich ein und sagt: »Ich hätte ernster mit dir reden müssen, aber ich war zu sehr in meinem eigenen Film gefangen. Es tut mir leid.« Hartmut schaut in die Scheune zu Susanne, die von Gratulanten umringt wird: »Vielleicht kommst du ja in einem Monat zu diesem Rennbahnfest. Oder wir fahren während der nächsten Wochen öfter mal nach Köln und machen uns mit die Hände schmutzig. Du weißt doch, was Susanne sagt: Es gibt immer eine Lösung.«
    Ich sehe ihm in seine blaue Augen und sage: »Ich will keine Lösung. Ich will die alte Zeit zurück!«
    Der spanische SLK fährt davon. Ich verlasse die Scheune und gehe zügig nach vorne zur Straße. In alle Richtungen nur Raps und Reue. Ich muss laufen. Einfach nur laufen.

    Es können zehn Minuten oder zehn Stunden sein, die ich nun zwischen den Hügeln einen Fuß vor den anderen setze. Ich müsste jetzt eigentlich verzweifeln oder wenigstens einen Schlachtplan entwerfen, aber das Einzige, was ich will, ist ein warmes Bad, ein Straßenrennen in Los Angeles und eine heiße Pizza.
    Ich zähle innerlich die Tage nach.
    Ich bin mir ziemlich sicher: Heute ist die Siziliana dran.

Epilog
    26. 03. 2011
    33° 8′ 32.95″ N, 11° 27′ 48.63″ E
    Von: Hartmut Hartmann
    An: Susanne Lehmann
     
    Liebe Susanne,
    ich habe heute zwei Kinder getroffen. Sie trugen knallrote Jogginganzüge und spielten spontan mit mir Fußball, weil ich ihnen eine olle zerknüllte Blechdose zugekickt habe. Sie haben gestrahlt, als würde ich ihnen ein Geschenk machen. Das waren keine Kinder auf einem Bamberger Bahnsteig oder einem Supermarktparkplatz in Syke, die sich freuen, dass sich einer mit ihnen beschäftigt, weil ihre Eltern gerade rauchen. Es waren Kinder in einem Flüchtlingscamp nahe der Grenze zu Libyen. Die Eltern sind mit ihren Kindern durch vier (!) afrikanische Länder geflüchtet. Durch ihr Heimatland Uganda, den Kongo, Zentralafrika und Libyen. Das ist viermal ganz Europa! Sie sind vor der »Lord’s Resistance Army« geflohen, die einen Gottesstaat auf Basis der zehn Gebote errichten will. Ihr erstes Gebot lautet: Dringe in Kirchen ein, zerteile die Gemeinde mit Buschmessern und vergewaltige die Frauen.
    Ich weiß, wir sollen uns nicht schreiben, und jetzt tue ich es und rege mich schon wieder über das Unrecht in der Welt auf. Aber ich habe heute kein Unrecht gesehen, Susanne, sondern Visionen. Die Kinder sind durch die Hölle gegangen, aber sie konnten lachen. In den Augen der Erwachsenen habe ich auch keinen Hass gesehen. Nicht der Zorn auf die Schuldigen hat ihnen die Kraft gegeben, wochenlang zu Fuß oder in rostigen Bussen den Kontinent zu durchqueren, sondern die Vision vom Leben, das sie haben könnten.
     
    Gerade jetzt, auf der Rückfahrt von der Grenze zum Flughafen sehe ich im Landrover aus dem Fenster und habe auch Visionen. Ich stehe auf einer hohen Leiter an einem Haus
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