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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin
Autoren: Silke Schütze
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gekommen!«
    Nick gähnt. Er setzt sich auf und guckt mich verständnislos an. Mit seinen blauen Augen und den hellbraunen gewellten Haaren, die zerwühlt vom Kopf abstehen, sieht er seinem Sohn sehr ähnlich.
    »Hat er dir gesagt, wo er hinwollte?«, frage ich.
    Nick kratzt sich verschlafen am Kopf. Endlich sagt er: »Wollte er nicht mit den Jungs los?« Er streckt seine Hand nach mir aus. »Reg dich doch nicht auf, Eva. Dem passiert schon nichts.«
    »Ich reg mich aber auf! Vielleicht liegt er irgendwo im Straßengraben und verblutet.«
    Nick seufzt. »Geht’s auch weniger melodramatisch?«
    Ich starre ihn an. Wieso sind ihm meine Gefühle gleichgültig? Meine Ängste sind nicht melodramatisch, sondern sehr real. Ängste kann man nicht abschalten, die überfallen einen wie Schüttelfrost. Aber Nick bleibt es ja bis heute auch ein Rätsel, warum ich immer eine Strickjacke und ein Halstuch dabeihabe. Oder dass ich nie ohne Strümpfe in der Handtasche aus dem Haus gehe. Ich friere leicht. Und ich mache mir schnell Sorgen.
    Nick jedoch hat sich entschlossen, die Gedanken über seinen Sohn zu vertagen. »Ich geh unter die Dusche«, bescheidet er mir. »Wir können beim Frühstück über Benny reden.« Er schlüpft aus seiner Pyjamahose. Sehr weit hinten in meinem Kopf, wie hinter einem Paravent verborgen, durchschießt mich der Gedanke, wann ich zuletzt seinen Hintern nackt berührt habe. Es scheint Jahre zurückzuliegen. Ich bin ärgerlich über Nicks Unbefangenheit. Wieso zieht er sich vor mir aus, während ich Todesangst um unser Kind ausstehe? Früher hätte mir seine Nacktheit schlicht gefallen. Heute erinnert sie mich an etwas, das wir verloren haben, und macht mir schlechte Laune. Nick weiß nichts von meinen Gefühlen und spult ungerührt seine Morgenroutine ab, wie ich am aufdringlichen Surren des elektrischen Rasierers erkenne. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als wieder zu meiner Freundin, der Kaffeemaschine, hinunterzusteigen und aus dem Fenster zu äugen. Als Nick frisch geduscht und mit noch feuchten Haaren die Küche betritt, hänge ich immer noch auf meinem Beobachterposten.
    »Na, schon ein Lebenszeichen von unserem Kleinen?« Er inspiziert mit kritischem Blick das Innenleben unseres Kühlschranks.
    »Nein! Keine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, und auf meinem Handy hat er sich auch nicht gemeldet.«
    Als Nick meine verzweifelte Miene sieht, unterbricht er seine Inspektion, greift erst nach einem Joghurt und nimmt mich dann kurz in den Arm. Dabei klopft er mit der freien Hand beruhigend auf meinen Rücken. Es ist zwar nicht sehr nett von mir, aber mir gefällt das nicht und ich mache mich los. Erstens, weil Nick meine Bedenken offenbar immer noch übertrieben findet, und zweitens, weil ich mich durch sein Getätschel behandelt fühle wie ein alter Ackergaul. Nick stellt den Joghurt mit einem resignierten Lächeln auf den Tisch und nimmt einen Kaffeebecher vom Regal. »Hast du einen Schluck Kaffee für mich?«
    Ich sehe mich nach der Kaffeemaschine um – und habe das befremdliche Gefühl, dass sie zurückschaut. Jedenfalls hat sie keinen Kaffee gekocht. »Komisch«, wundere ich mich. »Ich weiß genau, dass ich sie eingeschaltet hatte.« Ich greife nach der Kanne, ziehe sie von der Platte und untersuche die Maschine.
    Nick runzelt die Stirn. Dann erhellt sich sein Gesicht. »Kein Wunder!« Er hält den Stecker hoch. »Den musst du schon vorher in die Steckdose stecken, mein Schatz.«
    Sein gönnerhafter Ton ärgert mich. Ich reiße ihm den Stecker aus der Hand. »Benny hat gestern hier seinen iPod aufgeladen.« Ärgerlich stopfe ich den Stecker in die Steckdose.
    Nick grinst ironisch. »Je weniger der Junge zu Hause ist, umso besser. Dann bringt er dir wenigstens nicht die Küche durcheinander.« Er setzt sich an den Tisch und greift nach seinem Joghurt. »Und ich würde morgens in Ruhe Kaffee trinken können.«
    In diesem Moment geht die Tür und wenig später stolpert Benny in die Küche. Mit rutschenden Jeans, aus deren Hosenbund der Rand seiner Boxershorts hervorlugt, einem übergroßen, beuteligen Sweatshirt und der obligatorischen Baseball-Cap auf dem Kopf. Er stinkt nach Alkohol und Zigaretten und ist offensichtlich betrunken. Er schaut erst seinen Vater und dann mich an. »Na? Alles klar?«
    Nick widmet seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Joghurt und schweigt.
    Ich dagegen platze. Weil ich erleichtert, wütend und traurig zugleich bin. Weil Benny wieder nicht zur Berufsschule gehen
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