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Equinox

Equinox

Titel: Equinox
Autoren: Jörg Juretzka
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schepperte es von draußen herein.
    »Da«, beobachtete Ratso stillvergnügt. »Schon wieder. Und von Mal zu Mal klingt er mehr … nun ja. Wieso habt ihr Jungs eigentlich keinen Lautsprecher in der Kabine?«
    Box von der Wand gerissen, Kabel durchgebissen und beides in hohem Bogen über Bord geschmissen, war die Antwort auf diese Frage. Nachdem eine angebliche »Fehlschaltung in der Zentrale« uns morgens um halb sechs eine Auswahl der größten Hits von Celine Dion in die Kabine gespült hatte wie einen Sturzbach Fäkalschlamms.
    In Erinnerung daran trat ich den weiterhin schlafenden Scuzzi ins Kreuz.
    »Und wieso schließt ihr euch ein?«
    Das erzählen wir dir ein andermal, dachte ich, fand meine Socken nicht und beschloss, für den Moment darauf zu verzichten.
    »Angst um euren Kopf?«, fragte er, und aus dem Augenwinkel sah ich ihn grinsend diese südländische Halsabschneider-Geste machen und so was wie das erste Fiep des Weckers traf mich, wie immer unvorbereitet.
    »Was habt’n ihr da unterm Bett?«, wollte Ratso weiter wissen, und erst ab da konnte man mit Fug und Recht behaupten, dass ich wirklich wach war.
    »Danke«, sagte ich zu ihm, »wir kommen«, schob ihn nicht eben sanft vor die Tür und knallte sie zu.
    Gottverdammter wieseliger kleiner Scheißkerl, dachte ich. Augen und Ohren überall.
    »Wo sind eigentlich meine neuen Reeboks?«, fragte Jochen, das Hemd auf links an und fahrig herumkramend. »Du weißt schon, die Limited Edition?«
     
    Bis auf ein paar früh aufstehende Sonnenanbeter saßen die meisten Passagiere noch beim Frühstück, und das war ganz gut so. Denn Jochen wirkte nicht gerade überzeugend. Er wirkte nicht wachsam, wie es ein Mitglied der Security sein sollte, geschweige denn wach, und ausgenüchtert wirkte er auch nicht.
    Ich hatte meinem Kreislauf noch rasch mit einer steifen Prise auf die Beine geholfen und fühlte mich einigermaßen, na ja, rege, doch Jochen taumelte hinter mir her wie ein Schlafwandler, dessen physischer Schwerpunkt irgendwo im Bereich der Unterschenkel sitzt. Sosehr ich ihn auch zur Eile antrieb, er wankte nur mit beträchtlichem Seitenausschlag über das Deck und hätte den Aufstieg zur Brücke komplett verpasst, wenn ich ihn mir nicht geschnappt und hinter mir hergezogen hätte.
    Wir betraten die Brücke. Kapitän Zouteboom las mit zusammengezogenen Brauen ein Fax, ein Matrose stand am Steuerpult, Arme auf dem Rücken, Augen geradeaus. Vor sich, wo man ein riesiges Steuerrad erwarten würde, nur einen ganz sachte in alle Richtungen zuckenden Joystick.
    Ich meldete uns, verkniff es mir nur mit Anstrengung, dabei die Hacken zusammenzuknallen. Kapitän Zouteboom hob den Kopf von seiner Lektüre, und man konnte dabei zusehen, wie ihm das Blut in die Kopfhaut stieg. Hastig sah er an Jochen und mir auf und ab wie auf der Suche nach einem Punkt, aus dem sich ein Anschiss melken ließe. Er war einer von diesen hassenswerten Vorgesetzten, denen aber auch nichts entgeht und die vor allem nichts unkommentiert lassen können. Voller Reue, nicht noch länger nach meinen Socken gesucht zu haben, zog ich das Zwerchfell ein und kniff die Arschbacken zusammen - in der Hoffnung, die Hose möge mir über die nackten Fußknöchel rutschen.
    »Endlich«, befand Zouteboom nach einer Weile, ohne sich auf eine missbilligende, mehr innerlich als äußerlich kopfschüttelnde Art an uns satt sehen zu können. Jochen neben mir schwankte hin und her wie eine von herbstlichen Böen gebeutelte Aufblasfigur. Ich fragte mich, wie ich ihn stabilisieren könnte, ohne dass es aussah, als ob ich mit ihm Händchen halten wollte.
    Irgendwann ließ der Käptn dann doch von uns ab, beugte sich zu einem Mikrofon und drückte eine Taste. »Einundsiebzig zur Brücke, bitte«, schallte es blechern von draußen herein und hackte damit ein kleines Stück aus einer tranig gelallten Hymne auf Kingston Town. »Great Songs, Great Citys«, war eines von Scuzzis »Compilation Tapes«, die bis auf ein paar gnädige Nachtstunden rund um die Uhr aus den überall versteckten billigen Boxen eiterten.
    Befreit von dem bohrenden Blick strich ich ein wenig umher, interessiert, wie man so ist, das erste Mal auf einer Kommandobrücke und alles, und suchte im Vorbeigehen höchst unauffällig die neben dem Mikro an die Wand geheftete Liste nach Nummer 71 ab. Man möchte wissen, aus welcher Richtung der Tritt kommt. Und irgendeine Form von Tritt stand an, das fühlte ich, das war so sicher, wie wenn der Ball auf dem
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