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ePub: Der letzte Zauberlehrling

ePub: Der letzte Zauberlehrling

Titel: ePub: Der letzte Zauberlehrling
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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Gebäude, das ich bislang in meinem Leben gesehen hatte. Ein gewaltiges gewölbtes Dach aus Glas überspannte in schwebenden Bögen die vierzig Bahnsteige, an denen die Züge pausenlos unzählige Menschen ausspuckten oder verschluckten. Keine Minute verging, ohne dass nicht ein Zug den Bahnhof verlassen hätte oder in ihn eingefahren wäre.
    Ich war kaum aus meinem Waggon ausgestiegen, als mich die wogende Menschenmenge schon zur Bahnhofshalle hin mitriss. Hier teilte sich die Masse in viele kleine Kolonnen auf, die den verschiedenen Ausgängen zustrebten. Pausenlos hallten Lautsprecherdurchsagen durch die gigantische Halle, jeweils unterbrochen von einem hellen Glockenklang. Sie kündigten ein- und ausfahrende Züge an, warnten vor Taschendieben und priesen die neuesten Reiseangebote an.
    Ich kämpfte mich seitlich aus dem Menschenstrom, der mich auf einen der Ausgänge zu mitriss, und drückte mich in der Mitte der Halle gegen den Sockel einer Standuhr. Sie besaß einen Durchmesser von nahezu einem Meter, und die Zahlen auf ihrem Ziffernblatt glänzten, als seien sie aus purem Gold gefertigt. Die mächtigen Zeiger standen auf zehn nach vier. In dem Getriebe des Bahnsteigs hatte ich Agnetha und ihren Bruder den Zug nicht verlassen sehen. Ich hielt nach ihnen Ausschau, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Die nicht abreißenden Menschenströme vor mir ließen mich ein wenig schwindlig werden und ich schloss unwillkürlich meine Augen.
    »Na, Kumpel? Dreht sich das Großstadtkarussell zu schnell für dich?«, tönte eine Stimme neben mir.
    Ich schlug meine Augen wieder auf. Der Sprecher war ein Junge in meinem Alter. Er war gekleidet wie ein Erwachsener: braune Wollhose, dunkelgrünes Hemd und darüber ein braun-schwarz kariertes Sakko. Unter seiner ebenfalls braunen Schiebermütze bahnten sich Strähnen von strubbeligem blondem Haar den Weg in die Freiheit.
    »Gerade angekommen, was?« Er stemmte seine Arme in die Hüften und musterte mich prüfend. »Was treibt dich vom Land in die große Stadt?«
    »Ich will zum Ball der Zauberer«, erwiderte ich, ohne lange nachzudenken.
    Der Junge ließ seine Arme sinken. »Hab ich mir fast gedacht. Du bist nicht das erste Landei, das heute hier eingetrudelt ist.«
    Ich fragte mich, ob ich über diese Charakterisierung ärgerlich sein sollte oder nicht. Landei hörte sich nicht besonders freundlich an. Aber das entwaffnende Grinsen meines Gegenübers ließ meinen aufkeimenden Zorn gleich wieder verrauchen.
    »Was meinst du damit, ich sei nicht der Erste?«
    »Zauberlehrling natürlich. Mit dir sind es fünf. Das letzte Aufgebot, sozusagen.« Er musste meinen fragenden Blick bemerkt haben, denn er fuhr fort: »Jeder weiß doch, dass es keine Stellen für Zauberlehrlinge mehr gibt. Ihr fünf lebt also entweder ganz besonders weit hinterm Mond – oder ihr habt einen deutlich stärker ausgeprägten Optimismus als alle anderen. Ich tippe eher auf Ersteres.«
    Bei diesen Worten grinste er erneut und ließ da, wo sonst rechts oben der erste Backenzahn hinter dem Schneidezahnsitzt, eine Zahnlücke erkennen, was seinem schmalen Gesicht einen verwegenen Ausdruck verlieh.
    Ich tat so, als hätte ich seine Bemerkung nicht gehört.
    »Und wo sind die anderen jetzt?«, fragte ich.
    Er zwinkerte mit einem seiner hellblauen Augen und deutete mit einem Finger auf seine Brust. »Papillon weiß es. Und er sagt es dir, wenn du das Zauberwort nennst.«
    »Welches Zauberwort?«
    »Du willst ein Zauberlehrling sein und kennst nicht mal das Zauberwort?« Papillon zog die Augenbrauen hoch. »Dann kann ich dir leider nicht weiterhelfen.«
    Ich überlegte fieberhaft, was er wohl meinen könnte. Gab es einen Zauber, um jemanden zum Reden zu bringen? Wenn ja, dann hatte ich ihn noch nicht gelernt.
    »Bitte sag mir, wo die anderen sind«, bat ich ihn. »Ich weiß wirklich nicht, welches Zauberwort du meinst.«
    »Aber du hast es doch gerade ausgesprochen.« Er grinste erneut und tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Du bist da oben nicht der Schnellste, was?«
    Ich hätte mich eigentlich beleidigt fühlen müssen, aber in dem Augenblick begriff ich, was er mit dem Zauberwort gemeint hatte: einfach nur das Wort bitte . Ich spürte, wie mein Gesicht rot anlief.
    »Kein Grund, sich zu schämen.« Papillon legte seine Hand beruhigend auf meine Schulter. »Jeder ist mal etwas begriffsstutzig. Hauptsache, es ist kein Dauerzustand. Komm, wir gehen!«
    Agnetha und Ignatius hatten den Bahnhof sicher schon
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