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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes
Autoren: Jo Treggiari
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war nicht mehr, genau wie ihre alte Decke, die in dem fruchtlosen Versuch, die Krankheit zu besiegen, verbrannt worden war. Zusammen mit der Patchworkdecke, die Großmutter Ferris in mühevoller Handarbeit zusammengesetzt hatte, Lucys kahl gewordenem Teddybären und den bestickten Sofakissen und überhaupt allem, was das Leben bequem und angenehm gemacht hatte. In der gesamten Nachbarschaft waren Berge von Laken und Bettdecken, Matratzen und Kopfkissen himmelhoch aufgetürmt, mit Spiritus übergossen und in Brand gesetzt worden. Die riesigen Feuer brannten wochenlang. Wenn der Wind aus Osten kam, hatte Lucy das Gefühl, noch immer den ätzenden Qualm verbrannter Haare zu riechen und die Türme schwarzen Rauchs in den blauen Himmel aufsteigen zu sehen.
    Erst nachdem die Lange Dürre vorüber gewesen war und der Große Regen begonnen hatte, waren die Feuer endlich durch die heftig niederprasselnden Güsse gelöscht worden. Der ausgetrocknete Boden hatte sich zu gemächlich dahinziehenden Strömen aus Matsch verflüssigt, die alles mit ihrem Schlamm zudeckten, auch die Gruben – die tiefen Erdlöcher, die man hatte ausheben müssen, als die Friedhöfe voll gewesen waren, und in denen die Leichen wie Brennholz reihenweise übereinandergestapelt und mit Branntkalk bestreut worden waren, um die Verwesung zu beschleunigen; ein Versuch, Neuinfektionen vorzubeugen.
    Dann hatten die kontrollierten Bombardements begonnen. An jenen Stellen, wo innerhalb weniger Tage Tausende gestorben waren, verwandelten sie Wolkenkratzer in riesige Hügelgräber. Die ausgemergelten Leichen mit den dunkel unterlaufenen Flecken auf ihrer geschwärzten Haut wurden unter Tonnen von Schutt begraben, und die zahllosen kleinen Dinge, die das Leben, wie es einst gewesen war, ausgemacht hatten, wurden mit den Häusern ausradiert.
    Die Erinnerungen, die Lucy sich zu bewahren versuchte, stammten aus ihrem Leben vor dem Ausbruch der Epidemie. In ihrer Vorstellung erschien es ihr, als habe über diesen Zeiten eine freundlichere Sonne geschienen. Alles war wunderschön und voller bunter Farben. Lucy erinnerte sich an die winzigsten Nebensächlichkeiten: die Buttermilchpfannkuchen ihrer Mutter mit selbst gemachter Blaubeermarmelade, der Geruch von Weichspüler, das Gefühl, keine Löcher in den Socken zu haben. Wenn sie heute ihre dreckigen Fingernägel und ihre schmutzverkrustete Haut betrachtete, konnte sie kaum fassen, wie sehr sie sich verändert hatte – dass sie sich Dinge wie Hausaufgaben, täglich zu duschen oder ein ordentliches Frühstück auf dem Tisch jetzt gar nicht mehr vorstellen konnte.
    Mit Sicherheit war sie alles andere als »Lucky« – ein Glückspilz. Sie war Lucy. Schlicht und einfach.
    Sie hockte sich auf ihre Fersen und betrachtete den platt gedrückten Haufen aus trockenem Gras, auf dem sie schlief, ihren Schlafsack und ihre Vintage-Motorrad-Lederjacke, die sie zu einem Kissen zusammengeknüllt hatte; das wackelige Regal, das sie an ein paar Ästen aufgehängt hatte und auf dem ein verbeulter Blechteller und ein Napf lagen; ein Campingbesteck bestehend aus Messer, Gabel und Löffel an einem Stück Schnur, damit es nicht verloren ging; ihr Rucksack mit den notwendigsten Dingen; ein paar Klamotten zum Wechseln. Das war alles, was ihr auf der Welt geblieben war, abgesehen von ihrem Messer, dem Überlebenshandbuch, das sie in einer zerstörten Buchhandlung gefunden hatte, und noch ein paar anderen persönlichen Kleinigkeiten. Das Buch war verknickt und fleckig und einige Seiten lösten sich aus dem geborstenen Rücken. Aber es war kostbar.
    Sie strich sich das Haar aus der schweißnassen Stirn. Es war zu kurz, um hinter den Ohren zu bleiben, aber lang genug, um ihr ständig in die Augen zu fallen. Sie spürte etwas Feuchtes auf ihrer Wange und wischte mit dem Handrücken darüber. Schmutz, Blut und weiß der Teufel, was sonst noch. Tränen? Lucy weinte selten. Wahrscheinlich hatte sie im Lauf der Zeit einfach alle Tränen aufgebraucht. Sie biss sich auf die Unterlippe und richtete sich mühsam auf. Sie hatte so lange auf den Fersen gehockt, dass ihr rechtes Bein eingeschlafen war.
    Sie zerrte den Schutzschild wieder vor den Eingang ihres Unterschlupfs, humpelte zu einem Eimer, in dem sie Regenwasser sammelte, tauchte die Hände hinein und trocknete sie flüchtig an ihren Jeansbeinen ab.
    Toter wurde die Schildkröte nicht, und bevor das Tageslicht verging, hatte Lucy noch eine Reihe Dinge zu erledigen. Sie trat wieder vor den einfachen
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