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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes
Autoren: Jo Treggiari
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Holztisch, den sie sich aus Paletten gebastelt hatte, und sah in ihr Handbuch, dessen Seiten sie mit Steinen beschwert hatte, damit sie offen blieben. Es hatte sich alles ganz einfach angehört. Die Schildkröte zu fangen war sogar weniger kompliziert gewesen, als Lucy gedacht hatte: Während sich das Tier auf einer Sandbank am Strand der Hudson See gesonnt hatte, hatte Lucy sich an es herangepirscht. Sie hatte das Tier an seinem dünnen, ledrigen Schwanz gepackt und es sorgfältig auf Abstand gehalten, bis es ihr gelungen war, einen Stock zwischen die umherschnappenden Kiefer zu schieben. Viel Mitleid hatte sie mit der Schildkröte nicht gehabt, nachdem diese versucht hatte, sie zu beißen. Eigentlich nicht mal einen Anflug von schlechtem Gewissen, obwohl sie früher, bevor alles geschah, eine strikte Vegetarierin gewesen war. Nein, stattdessen hatte sie die Schildkröte mit dem Knie auf den Boden gepresst und mit einem weiteren Stock vor dem scharfen, an einen urzeitlichen Vogel erinnernden Maul herumgefuchtelt, bis der Hals ganz ausgestreckt war. Dann hatte sie der Schildkröte mit aller Wucht einen Stein auf den kleinen Kopf geschlagen.
    Lucy sah ins Buch. Eine Seite fehlte, musste fehlen. Sie blätterte vor und zurück, suchte den genauen Ablauf der Handgriffe, die ihr vier Portionen rosiges Fleisch verschaffen sollten, die so sauber und keimfrei waren, als hätte man sie aus der Kühltheke im Supermarkt gekauft. Wenn es denn noch Supermärkte gegeben hätte. Mit plötzlicher Wut stach sie mit ihrem Messer auf die Kreatur ein. Die Klinge prallte vom Panzer ab. Lucy schrie auf und schleuderte das Messer angewidert von sich. Sie hatte sich verletzt – in ihrer linken Handfläche klaffte ein langer Schnitt, aus dem augenblicklich Blut quoll. Sie leckte das Blut ab. Der metallische Geschmack war kein Genuss. Lucy nahm ihr Halstuch, wickelte es um die Wunde und knotete mithilfe ihrer Zähne die Enden fest zusammen. Dann bückte sie sich, hob ihr Messer auf, wischte es sauber und überprüfte, ob die Klinge Schaden genommen hatte. Sie seufzte erleichtert. Anscheinend war es gut gegangen.Sie fuhr mit dem Finger über die Klinge und stieß auf eine winzige Kerbe. Sie musste das Messer erst schärfen, bevor sie weitermachen konnte.
    »Blöd, blöd, blöd«, murmelte sie.
    Ganz unten in ihrem Rucksack befand sich ein schmaler, rechteckiger grauer Stein. Seine Oberfläche fühlte sich an wie feines Sandpapier. Fünfmal mit der Klinge darüber, und sie war wieder so scharf, dass sie eine feine Blutspur auf Lucys Daumenkuppe hinterließ. Lucy drehte das Messer herum und schärfte auch die andere Seite der Schneide.
    Sie ging zurück zu ihrem Buch und strich sich mit einer energischen Bewegung das Haar hinter die Ohren. Der blutige Kadaver der Schildkröte war auf ein paar großen Blättern ausgebreitet und hatte wenig Ähnlichkeit mit den säuberlichen Buchillustrationen. Vier Portionen appetitliches, hellrosa Fleisch sah man auf den bunten Bildern – und nicht solch eine zermetzelte Sauerei, aus der Blut und Sonstwas sickerte. Der Panzer war das Hauptproblem. Dieses knöcherne Ding war hart wie Stein und wollte sich einfach nicht ablösen. Dabei hatte Lucy die Anleitung genau befolgt und die Schildkröte in einen Topf mit heißem Wasser geworfen. Sogar länger als die angegebenen zehn Minuten! Aber allmählich fragte sie sich, ob das Wasser vielleicht nicht heiß genug gewesen war.
    Der Text fing an, vor ihren Augen zu tanzen. Sie hatte die Wörter so lange angestarrt, dass sie plötzlich keinen Sinn mehr ergaben. Die Sonne begann unterzugehen, und das Licht, das durch das Weidengeflecht hereinfiel, wurde schwächer.Lucy schob ihr Messer zwischen den Panzer und den Körper der Schildkröte und hebelte daran herum. Es knackte. Die Messerspitze war abgebrochen. Einen Augenblick lang starrte Lucy das Messer ungläubig an. Dann schmetterte sie das Buch mit einem Wutschrei so heftig zu Boden, dass es durch den Schmutz schlitterte.
    »Scheiße!«, schrie sie, und im selben Augenblick merkte sie, wie sich die Verzweiflung in ihrer Kehle breitmachte und ihr die Tränen in die Augen trieb. Sie biss sich heftig auf die Unterlippe, um dem wütenden Schluchzen, das in ihrem Hals aufstieg, durch den Schmerz entgegenzuwirken. Tief durchatmen! Etwas Essbares durfte man nicht verkommen lassen! Nicht, wenn Nahrung so rar war. Nicht, wo die Vögel reines Gift und die Eichhörnchen so scheu waren. Sorgsam unterzog sie ihr Messer einer neuen
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