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Enwor 8 - Der flüsternde Turm

Enwor 8 - Der flüsternde Turm

Titel: Enwor 8 - Der flüsternde Turm
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Bauwerk, wobei Skar Kiina wortlos die Führung überließ. Er gehörte zwar zu den wenigen Menschen, die diesen Palast schon zweimal betreten hatten, aber das war Jahre her, während Kiina hier aufgewachsen war, noch dazu als Tochter der
Ehrwürdigen Mutter,
für die es keine verschlossenen Türen und keine Geheimnisse gab. Und sie kannte sich wirklich gut aus: ohne ihre Hilfe hätte Skar sich wahrscheinlich hoffnungslos in dem Labyrinth aus Gängen und Hallen und ineinandergeschachtelten Ebenen verirrt, durch das Kiina ihn leitete; ganz davon abgesehen, daß er die meisten Räume nicht einmal
gefunden
hätte. Was sie nicht fanden, das waren
Errish.
Weder lebende noch tote. Der Palast war leer. Der Leichengestank, der sie empfangen hatte, stammte von Toten unten in der Halle. Aber überall lag Staub; der gleiche, pulverige graue Staub, der die Stadt bedeckte und durch Fenster und Balkon und jede noch so winzige Ritze hereingeweht worden war.
    Schließlich hatten sie den gesamten Palast durchsucht, und es blieb nur noch der Thronsaal selbst, eine gewaltige, halbrunde Halle unmittelbar unter der Spitze des Turmes. Skars Herz begann ein wenig schneller zu schlagen, als er die zweiflügelige Tür aufstieß und vor Kiina in den Saal trat. Ganz instinktiv legte er die Hand auf das Schwert in seinem Gürtel.
    Seine Vorsicht war auch diesmal überflüssig. Der Thronsaal der
Margoi
war so leer und tot wie die gesamte Festung; wie die gesamte Stadt. Skar hob die Hand vor die Augen und blinzelte in das grelle Licht, das durch die großen gebogenen Fenster hereinfiel, und der plötzliche Luftsog ließ graue Staubwolken aufwirbeln. Er hustete, wich unwillkürlich einen Schritt zurück und wartete, bis sich die grauen Schwaden wenigstens einigermaßen gelegt hatten. Dann betrat er zum zweiten Mal den Thronsaal, mit vorsichtigen, sehr langsamen Schritten, um den Staub nicht ein zweites Mal aufzuwirbeln. Sein Blick glitt rasch und mißtrauisch durch die gewaltige Halle, und abermals kam ihm zu Bewußtsein, wie bedrückend und unheimlich dieses riesige, leere Gebäude war. Es gab auch hier oben kein Leben; nicht einmal mehr die Spuren davon. Grauer Staub lag in einer fast knöcheltiefen Schicht auf dem Boden, aber sie war unversehrt und vom Wind zu einem regelmäßigen Wellenmuster geformt worden, wie eine winzige Wüste, zweihundert Manneslängen über der Stadt.
    »Nichts?»
    Kiina wartete sein Kopfschütteln ab, ehe sie hinter ihm in die Thronhalle trat. Auch sie bewegte sich sehr langsam, aber Skar war sicher, daß sie es nicht tat, nur um den Staub nicht aufzuwirbeln.
    Ihr Gesicht war bleich und die Lippen eng zusammengepreßt und fast blutleer. Draußen, in der Dämmerung der Korridore und Treppen, war ihm das nicht aufgefallen, aber er sah jetzt, daß die Ruhe ihrer Bewegungen von der Art eines Menschen war, der sich mit aller Macht zusammenriß, um nicht schlichtweg die Beherrschung zu verlieren. Ihre Augen waren fast schwarz vor Entsetzen, und Skar gestand sich ein, daß er Kiina überschätzt hatte. Er machte sich schwere Vorwürfe deswegen. Sie war noch ein halbes Kind — er hätte wissen müssen, wie der Anblick der zerstörten Stadt und ihrer toten Brüder und Schwestern auf sie wirken mußte.
    »Wo sind sie alle hin?« flüsterte Kiina. Auch ihr Blick irrte durch den Raum, aber anders als der von Skar tat er es unstet und immer schneller, als suche sie verzweifelt nach irgendeinem Halt, an dem sie sich festklammern konnte, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. »Aber sie... sie müssen doch irgendwo sein!«
    Skar antwortete auch darauf nicht. Was hatte sie erwartet? Die
Margoi
und sämtliche überlebenden Bewohner Elays zusammengepfercht hier im Thronsaal zu finden, in dem sie sich vor einem nicht existierenden Gegner verbarrikadiert hatten ? Aber er konnte schwerlich Logik von Kiina erwarten. Nicht in
diesem
Augenblick.
    »Vielleicht... vielleicht konnten sie fliehen«:, stammelte Kiina.
    Skar wich ihrem Blick aus, aber sie fuhr, jetzt lauter und fast hysterisch fort: »Sie müssen geflohen sein, Skar. Das... das ist die einzige Erklärung.«
    Skar schüttelte den Kopf. Er streckte die Hand aus, aber Kiina wich vor ihm zurück. »Sie sind tot, Kind«, sagte er. »Wie alle anderen.«
    »Das ist nicht wahr!« schrie Kiina. »Dann hätten wir ihre Leichen gefunden! Sie sind geflohen.«
    »Und die Wachen, unten in der Halle?« widersprach Skar.
    Kiina verstand nicht. »Sie sind gefallen, als sie den Palast
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