Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Titel: Enwor 5 - Das schwarze Schiff
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
ihm, Leben oder etwas anderes, Finsteres. Er schien zu pulsieren, und etwas Dunkles, Unsichtbares kroch langsam über das schmale Felsband auf das Schiff zu.
    »Bei allen...!« Gowennas Stimme versagte. Sie fuhr herum, so heftig, daß das Kind in ihren Armen erwachte und leise zu wimmern begann, starrte Skar aus weit aufgerissenen Augen an und wollte etwas sagen. Ihre Lippen zitterten unter dem dünnen Schleier. Skar schien es plötzlich, daß die Haut rings um ihr verletztes Auge wieder glatt und unversehrt war. Aber nur für einen Moment. Dann verging die Illusion, und er sah wieder das erloschene blinde Auge und den erstarrten graubraunen Schmerz unter ihm. Es war nur Blendwerk. Aber sie waren am Ende aller Täuschung.
    Skar löste sich langsam vom Mast, trat auf Gowenna zu und berührte ihre Wange. Sein Blick streife das Kind auf ihren Armen, und wieder verspürte er dieses seltsame, fremde Gefühl der Zärtlichkeit. Wie beim ersten Mal schreckte er davor zurück, versuchte es zu verdrängen und wegzuleugnen, und wie beim ersten Mal spürte er, daß er es nicht konnte. Und gleichzeitig hatte er Angst. Eine so tiefe, schmerzende Angst wie selten zuvor in seinem Leben. Dieses Kind war weder gut noch böse, sondern unschuldig und bereit, geformt zu werden, aber allein der Gedanke, wozu es einmal werden
konnte,
ließ ihn innerlich aufstöhnen. Und es gab nichts mehr, was sie dagegen zu tun in der Lage waren.
    »Ich glaube«, begann er, ganz leise und so ruhig, wie er konnte, »diesmal haben wir verloren, Kiina.« Seine Hand glitt an ihrer Wange herab, fand die dünne Spange, die den Schleier hielt, und löste sie. Es war undenkbar, hinter den Schleier der
Margot
zu blicken, ein todeswürdiges Verbrechen allein der Gedanke daran, aber Gowenna ließ es geschehen, ohne sich zu wehren. Ihr Gesicht zuckte, und er sah, wie sie mit aller Macht gegen die Tränen ankämpfe.
    Sie benahmen sich immer noch wie die Kinder, dachte er. Beide. Gowenna und er. Sie belauerten sich gegenseitig, warteten auf ein Zeichen von Schwäche, nur um endlich selbst schwach sein zu dürfen. »Gowenna«, murmelte er. »Ich —«
    Sie hob die Hand, brachte ihn mit einer entschiedenen Geste zum Schweigen. »Nicht, Skar«, bat sie. In ihrem Auge glitzerte eine Träne, ihre Stimme zitterte, aber sie war trotzdem fest. »Ich mag keine großen Abschiedsszenen«, fuhr sie fort. »Stell... stell dir vor, wie albern wir uns vorkommen müssen, wenn wir doch überleben.« Sie versuchte zu lachen, aber es mißlang kläglich.
    Skar drehte sich um und sah nach Westen. Der Dronte war da. Er war herangekommen, zehnmal so schnell, wie er gefürchtet hatte, ein titanischer schwarzer Schatten, der schäumend und lautlos auf die Hafeneinfahrt zuschoß. Das Segel war bis zum Zerreißen gebläht, die schwarzen Ruder peitschten wie wirbelnde Insektenbeine das Wasser, und hinter seiner Bordwand glühte ein hellrotes, flackerndes Höllenauge.
    Etwas fehlt noch,
dachte er. Es war noch nicht komplett, ein winziges Steinchen des Mosaiks fehlte noch, damit alles einen Sinn ergab. Eine seltsame, unnatürliche Ruhe begann von den Männern Besitz zu ergreifen. Ihre Stimmen verklangen, eine nach der anderen, versik-kerten im Murmeln der Brandung und im Heulen des Windes, und Skar spürte ohne hinzusehen, wie sie stehenblieben, stumm und mit einer Ruhe, um die er sie für einen winzigen Moment beneidete, dem näher kommenden Dronte entgegenstarrten. Ein paar Hände griffen nach Schwert oder Schild, aber es waren nur leere Gesten. Sie wußten, daß es kein Entkommen mehr gab. Sie waren am Ende der Welt; es gab keinen Ort mehr, wohin sie sich flüchten konnten.
    Reglos sah er dem Dronte entgegen. Er wuchs heran, schnell, unglaublich schnell, sprang mit einem gewaltigen Satz aus dem Licht der Vormittagssonne hinein in die Höhle, wie ein bizarres Ungeheuer aus den Abgründen der Zeit, das Wasser pflügend und weiße Gischt wie einen Schleier hinter sich herziehend, und Skar wußte, daß Helth hinter ihnen erwachte, genau in diesem Moment, da sich das
Ding
in seinem Inneren regte, tastend, noch unsicher, aber endlich Herr seines Körpers, endlich erwacht und im Vollbesitz seiner Kräfte.
    »Skar...« Gowennas Stimme bebte, brach. »Wir... wir müssen hier weg. Das Schiff wird explodieren, wenn... wenn er es trifft.«
    Das Höllenfeuer hinter der Reling des Dronte begann heller zu lodern; eine winzige Sonne, die das Wasser mit roter und goldener Glut überzog. Das schwarze Schiff
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher