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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen
Autoren: Tania Carver
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vielen seiner Kollegen erlebt hatte. Also zwang er sich dazu, regelmäßig in den Fitnessclub zu gehen, zu joggen und möglichst viel Rad zu fahren. Ein Bekannter hatte ihm vorgeschlagen, nach Feierabend gemeinsam mit ein paar Kollegen Fußball zu spielen - man konnte neue Bekanntschaften schließen, zusammen Spaß haben und danach noch ein paar Bierchen trinken gehen. Phil hatte abgelehnt. Das war nichts für ihn. Nicht dass er gesellschaftsscheu gewesen wäre. Er war sich bloß meist selbst genug.
    Was sein Äußeres anging, war er stets bemüht, nicht dem typischen Klischee eines Detectives zu entsprechen. In seinen Augen waren Anzug, Bürstenhaarschnitt und auf Hochglanz polierte schwarze Schuhe auch nichts anderes als eine Polizeiuniform. Er trug nie einen Schlips, besaß nicht mal einen, und meistens kam er statt im Oberhemd im T-Shirt zur Arbeit. Seine dunkelbraunen Haare waren strubbelig und fielen ihm vorn in die Stirn, und an seine Füße ließ er alles außer schwarze Schuhe. An diesem Tag trug er Jacke und Weste eines Nadelstreifenanzugs zu einer dunkelblauen Levi's, ein gestreiftes Hemd und braune Stiefel.
    Doch seiner sorgsam gewählten Garderobe zum Trotz: Seine Augen zeigten die Anspannung, unter der er stand. Dichteraugen, wie eine Exfreundin einmal gesagt hatte. Seelenvoll und melancholisch. Er fand, dass sie bloß müde und traurig aussahen. An diesem Morgen hatten sie schwarze Schatten.
    Er atmete tief ein und aus und rieb sich die Brust. Gott sei Dank war die Panikattacke, deren erste Anzeichen er in der Wohnung gespürt hatte, nicht schlimmer geworden. Das war immerhin etwas. Normalerweise fühlte es sich an, als würden sich Eisenbänder um seine Brust legen und ihm die Luft abschnüren. Immer enger zogen sie sich, bis er das Gefühl hatte, kaum noch atmen zu können, und seine Arme und Beine unkontrolliert zu zittern anfingen.
    Diese Angstanfälle plagten ihn von jeher. Er hatte seine unglückliche Kindheit dafür verantwortlich gemacht. Nachdem er von seiner leiblichen Mutter, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, als Kleinkind zur Adoption freigegeben worden war, war er von einem Heim zum anderen, von einer Pflegefamilie in die nächste weitergereicht worden. Nirgendwo hatte er sich zu Hause gefühlt. Er dachte nur ungern an jene Zeit zurück. Irgendwann war er dann zu den Brennans gekommen, und die Angstanfälle hatten allmählich nachgelassen. Don und Eileen Brennan. Er neigte nicht zum Melodramatischen, trotzdem war er felsenfest davon überzeugt, dass die beiden ihm das Leben gerettet hatten. Sie hatten ihm endlich Halt gegeben. Und ein Zuhause. Sie hatten ihn genauso sehr geliebt wie er sie. So sehr, dass sie ihn schließlich adoptiert hatten.
    Aber ganz verschwunden waren die Panikattacken nie. Jedes Mal, wenn er glaubte, sie endlich überwunden zu haben, erwischte es ihn wieder und erinnerte ihn daran, dass er in Wirklichkeit noch weit entfernt davon war, mit seiner Vergangenheit abgeschlossen zu haben.
    Don Brennan war Polizist gewesen, weil er an Recht und Gerechtigkeit glaubte - Tugenden, die er auch seinen Pflegekindern zu vermitteln suchte. Entsprechend groß war seine Freude gewesen, als sein Adoptivsohn in seine Fußstapfen getreten und ebenfalls zur Polizei gegangen war.
    Und Phil liebte seine Arbeit. Weil er der festen Überzeugung war, dass neben Recht und Gerechtigkeit vor allem eins wichtig war: Ordnung. Nicht im Sinne von Regeln und Vorschriften, sondern im Sinne von Vernunft. Das Leben an sich war oft vollkommen willkürlich, und die Polizeiarbeit ermöglichte es ihm, es zu definieren, ihm Form und Bedeutung zu geben. Verbrechen aufzuklären, Gründe für kriminelles Verhalten zu finden, das Warum hinter einer Tat aufzudecken - all das war der Treibstoff, der ihn am Laufen hielt. Er war sich ziemlich sicher, dass er in jede Art von Chaos Ordnung hineinbringen konnte.
    Er wandte sich von der Fensterscheibe ab.
Dann tu genau das jetzt auch,
mahnte er sich.
Denk nach.
    Er würde mit den beiden früheren Morden beginnen.
     

6
     
    Lisa King und Susie Evans. Die zwei anderen Mordopfer. Er hatte ihre Gesichter so oft gesehen - auf Fotos am Whiteboard im Einsatzraum -, dass sie sich seinem Gedächtnis tief eingeprägt hatten.
    Lisa King war sechsundzwanzig Jahre alt, verheiratet, von Beruf Immobilienmaklerin. Sie war zu einem Besichtigungstermin in einem leerstehenden Haus am Rande von Greenstead erschienen. Sie hatte das Haus nie verlassen. Einer ihrer Kollegen hatte
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