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Entfuhrt

Entfuhrt

Titel: Entfuhrt
Autoren: Koppel Hans
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zum letzten Mal. Mit Sicherheit sah sie sie zum letzten Mal auf dem Monitor. Es machte ihr nichts aus. Es war einfach genug.
    Sie schaltete den Fernseher aus, legte sich aufs Bett und schloss die Augen. Sie ging ihren Plan von Neuem durch. Falls es überhaupt ein Plan war. Sie war sich nicht sicher. Sie würde durchziehen, was sie sich vorgenommen hatte, dann würde man weitersehen. Auf den Ausgang hatte sie keinen Einfluss.
    Das Glas mit Wasser, das Kabel, die Gabel unter der Matratze.
    Sie hatte sich nie geprügelt, wusste nicht, wie das ging. Sie holte die Gabel hervor und betastete sie. Sie war nicht
besonders spitz. Sie zog das Laken beiseite und stach auf die Matratze ein. Es gab nicht einmal Löcher.
    Die Augen, dachte sie, sie musste auf die Augen zielen.
    Sie legte die Gabel wieder unter die Matratze, straffte das Laken, ging ins Badezimmer und betrachtete sich im Spiegel. Sie war nicht mehr die Frau, die vor gut achtzehn Monaten in den Keller gesperrt worden war. Sie fragte sich, ob Mike sie noch erkennen würde.
    Ylva ging in die Kochnische und schaute in den Kühlschrank. Sie musste etwas essen und sich ausruhen.
    Unabhängig davon, wie es ausging, dies war ihr letzter Tag in Gefangenschaft.

    Mike beugte sich zu Nour und küsste sie auf den Mund.
    »Bis heute Abend.«
    »Ja, bis dann, Tschüs.«
    Nour stieg aus, machte die Beifahrertür zu und winkte noch einmal vom Bürgersteig aus. Mike legte den Gang ein und fuhr davon. Im Rückspiegel sah er Nour in ihrem Bürohaus verschwinden.
    Er war glücklich.
    Die Euphorie dauerte bis zum Mittagessen an. Dann wurde sie von Schwermut abgelöst.
    Es war nichts Spezielles, was seine gute Laune dämpfte. Keine schlechten Nachrichten, keine düsteren Prognosen oder unzufriedenen Angestellten, die sein Glück trübten. Auch kein plötzliches Absinken des Blutzuckerspiegels,
keine Flashbacks oder lästigen Verpflichtungen, die die Schwermut erklärt hätten. Es handelte sich um einen ganz normalen Stimmungsumschwung.
    Er schlug einen neuen Bericht auf und begann, darin zu lesen. Eine Dreiviertelstunde später legte er den Papierstapel beiseite, rieb sich die Nasenwurzel, auf der die Brille Abdrücke hinterlassen hatte, und stellte fest, dass er nicht einen Deut klüger war. Wieder so ein schwammiger, inhaltsloser Text, der die Firma viel Geld gekostet hatte und der nur in Auftrag gegeben worden war, damit die Chefs auf der mittleren Hierarchieebene jemandem die Schuld geben konnten, falls etwas schiefging.
    Mike schaute auf die Uhr und stellte fest, dass er mit gutem Gewissen nach Hause fahren konnte. Er rief Nour an, als er im Auto saß, aber die hatte noch einiges zu tun und wollte den Bus nehmen.
    »Dann sehen wir uns zu Hause«, sagte er. »Ich koche.«
    Mike betrat den Lebensmittelladen in Laröd, wanderte ziellos herum und wartete auf eine Inspiration. Fleisch, bah. Fisch, nein. Geflügel, nicht schon wieder. Vegetarisch – gab es außer Quiche mit Broccoli noch etwas anderes?
    Gösta war auch gerade einkaufen. Die beiden begrüßten sich und wechselten ein paar Worte über die Schwierigkeit, sich immer wieder etwas Neues einfallen zu lassen.
    Spaghetti mit Gorgonzolasoße und kross gebratenem Bacon. Das war es. Dazu Salat. Mike packte die Lebensmittel in seinen Korb und kaufte noch, was sie zum Frühstück brauchten.

    Er fuhr zur Schule und betrat den Hort. Sanna war nirgends zu sehen. Die Erzieherinnen sahen Mike fragend an. Sein Herz krampfte sich zusammen, und für den Bruchteil einer Sekunde wurde er in Richtung eines Abgrunds gesogen. Dann fiel ihm ein, dass Sanna mit Flötenstunden begonnen hatte. Er lächelte und ging in Richtung des Saals, aus dem das falsche Flötenspiel kam.
    Hänschen … klein … ging … allein. Hänschen … klein … ging … allein. Hänschen … klein ging … allein.
    Bis zum Konzert in der Berwaldhalle würde noch einige Zeit verstreichen.
    »Bravo«, applaudierte er. »Das klingt gut.«
    »Ich kann es noch besser«, versicherte Sanna.
    »Ich fand das ganz wunderbar. Seid ihr fertig?«
    Er sah die Musiklehrerin fragend an, die tapfer nickte.
    »Dann bedanken wir uns für heute«, sagte Mike.
    »Danke für den Unterricht«, sagte Sanna.
    »Ich danke auch«, erwiderte die Lehrerin. »Bis nächste Woche.«
    Sanna hopste aus dem Saal und auf das Auto zu.
    »Darf ich vorne sitzen?«
    »Liebling. Es sind doch nur zweihundert Meter. Ich habe keine Lust, den Kindersitz umzumontieren.«
    »Okay.«
    Was?, dachte Mike. Keine
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