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Entflammt

Entflammt

Titel: Entflammt
Autoren: Cate Tiernan
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hätte ich mich vielleicht umgebracht. Beinahe hätte ich hysterisch losgelacht, als mir Folgendes klar wurde: Selbst wenn ich es schaffen würde, mir selbst den Kopf abzuschneiden, konnte ich nicht garantieren, dass ich wirklich dabei draufging. Aber was blieb mir sonst noch? Sollte ich mich kopfüber in einen Häcksler stürzen? Was, wenn das Ding blockierte, wenn erst die Hälfte von meinem Kopf durch war? War bestimmt eine super Erfahrung, wenn einem ein neuer Schädel wuchs. Igitt,nein danke.
    Mein Leben fühlte sich an, als wäre ich von einer Klippe gestürzt, als fiele ich immer weiter in tiefste Verzweiflung und würde nie wieder glücklich sein. Ich konnte mich nicht einmal mehr erinnern, wann ich das letzte Mal richtig glücklich gewesen war. Amüsiert? Ja. Gut unterhalten? Ja. Glücklich? Eher nicht. Ich hatte sogar vergessen, wie sich das anfühlte. Die einzige Person, die mir Hilfe angeboten hatte, die mich zu verstehen schien, war River. Sie hatte mich vor so vielen Jahrzehnten hierher eingeladen. Und jetzt war ich da.
    Ich schaute mich noch einmal um und plötzlich sah ich sie auf den breiten Holzstufen des Hauses stehen. Sie sah genau so aus, wie ich sie in Erinnerung hatte, was ungewöhnlich war. Normalerweise neigen wir dazu, unser Erscheinungsbild drastisch zu verändern. Ich hatte es seit unserer letzten Begegnung mindestens zwanzig Mal getan. Sie würde mich ganz sicher nicht wiedererkennen. River beobachtete mich und es war eindeutig, dass sie darauf wartete, dass ich den ersten Schritt machte.
    Ich atmete aus und hoffte, dass das Haus gemütlich warm war und dass ich einen heißen Tee oder einen Drink bekommen oder ein heißes Bad nehmen konnte. üb sie sich überhaupt an mich erinnerte? Galt ihre Einladung noch? Natürlich war es absolut lächerlich, sie auf etwas festzunageln, was sie vor achtzig Jahren gesagt hatte. Aber was sollte ich sonst tun?
    Außerdem hatte ich schon viel peinlichere Sachen gemacht. Ich stieg aus dem Auto, verkroch mich in meine alte Lederjacke, die ich wieder heraus gekramt hatte, nachdem ich meine neue bei Mr J. verloren hatte. Ich schlurfte durch das Laub auf dem Boden und überlegte bereits, was ich tun würde, wenn sie mich abwies. Auf jeden Fall würde ich mich irgendwo verstecken, wo es warm war. Vielleicht auf den Fidschi-Inseln. Dort würde ich bleiben, bis es mir besser ging, bis ich mich nicht mehr so nutzlos fühlte. Irgendwann würde mir Incy dann nicht mehr so unheimlich vorkommen und ich würde die Sache mit dem Taxifahrer ebenso vergessen, wie ich Imogen bis gestern vergessen hatte.
    »Hallo «, sagte sie, als ich fast vor ihr stand. Sie trug einen langen gemusterten Rock und ein wollenes Tuch um die Schultern. Ihr graues Haar hing glatt herunter und war an den Seiten mit Haarklammern festgesteckt. »Willkommen.« »Hi«, sagte ich. »River?«
    »Ja.« Sie sah mich prüfend an. »Wie ist dein Name, Kind?«
    In meinem Alter noch Kind genannt zu werden, ließ mich kurz auflachen. »Nastasja. Jedenfalls zurzeit.«
    »Wir sind uns schon begegnet.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
    Ich nickte und zertrat die Blätter unter meinen Stiefeln.
    »Vor langer Zeit. Sie haben gesagt, wenn ich mehr will, soll ich nach ,West Lowing kommen.« Ich sah wie beiläufig in die Ferne und beobachtete die Wolken, die von Südwesten heranzogen. »Nastasja«, wiederholte sie. Sie betrachtete mein struppiges schwarzes Haar und die farbigen Kontaktlinsen, die ichtrug, damit meine Augenfarbe meinem amerikanischen Pass entsprach. Ich versuchte mich zu erinnern, wie ich ausgesehen hatte, als wir uns begegnet waren, aber es gelang mir nicht.
    »Christiane«, fiel es mir wieder ein. Einer von unendlich vielen Namen. »Ich hieß damals Christiane. Wir haben uns in Frankreich getroffen, nach einem Autounfall. Ende der Zwanzigerjahre. «
    »Ach ja«, sagte sie nach einem Augenblick nickend. »Das war ein schlimmer Abend. Aber ich bin froh, dass ich dich getroffen habe. Und dass du jetzt hier bist.«
    »Ja«, meinte ich verlegen und konnte ihr nicht ins Gesicht sehen. »Ich weiß, das ist lange her, aber Sie haben gesagt ... «
    »Ich bin froh, dass du gekommen bist, Chr. .. Nastasja«, wiederholte sie. »Außerdem duzen wir uns hier alle. Hast du Gepäck dabei? «
    Ich nickte und musste an meinen Riesenkoffer denken. Und natürlich das seelische Gepäck, das ich mit mir herumschleppte. »Gut, dann zeige ich dir
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