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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung.
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Stelle. Dieses schwere Aufsprudeln im Oberbauch aufstieg. Immer gleich schwer. Zu schwer. Gleich eine Erschöpfung. Ein Zusammensinken über dieser Schwere. Um diese Schwere. Die Erinnerung nichts abschliff. Nichts lernen ließ. Keine Übung. Keine Gewöhnung. Sich gegenüber stand. Mit diesem Satz. Sich gegenüber lag. Sie hörte Schritte. Vor dem Tor. Jemand ging schnell. Mit hohen Absätzen. Jemand ging langsam. Sie richtete sich auf. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss. Das kommt davon, dachte sie. Arbeitslose hatten eine 7-mal höhere Chance, eine Depression zu entwickeln, hatten sie in einem Fernsehmagazin gestern Abend behauptet. Die Moderatorin hatte bedeutungsvoll geschaut. Dazu. Ihre blonden Haare hatten sich keinen Millimeter bewegt, wie sie den Kopf auf die Seite gelegt hatte. Ihrem bedeutungsvollen Sehen noch mehr Bedeutung zu verleihen. Selma nahm den Rucksack auf. Hob ihn auf die Schulter. Sie zog die Tür auf. Lehnte sich gegen die Tür. Hielt die Tür offen. Sie schwang die Tasche über die rechte Schulter über den Rucksack. Schob den Daumen unter die Riemen. Sie trat auf die Straße. Die Hitze warm umfangend. Nach der kalten Hauseinfahrt. Sie ließ die Haustür hinter sich ins Schloss fallen.

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    Sie wandte sich nach links. Wo stand das Auto. Sie ging. Steckte die Schlüssel in die Jackentasche. War das Auto in dieser Richtung. Hatte sie das Auto hier irgendwo geparkt. Wann hatte sie das Auto zuletzt gebraucht. Was hatte sie am Abend gemacht. Gestern. Sie ging auf das Eisgeschäft zu. Ein paar Tische besetzt. Sie zwang sich, geradeaus zu sehen. Nicht über die Straße zu gehen. Auszuweichen. Und wenn sie jemand aus dem Büro da sitzen sah. Sie musste nichts anderes tun, als zu grüßen. Freundlich zu grüßen. Sie hatte es eilig. Festen Schritts musste sie freundlich grüßend vorbeigehen. Sie ging. Die Hitze. Die Straße in der Sonne. Kein Schatten. Sie schwitzte. Die Luft beim Atmen. Dehnten sich die Lungen aus, wenn man so heiße Luft atmete. Sie fragte sich. Die Mosaiksteinchen an der Wand beim Eisgeschäft glitzerten in der Sonne. Gelb. Blau. Das Eisgeschäft schon ewig hier. Sie war beneidet worden. In der Schule. Ein Eisgeschäft gleich beim Haus. Sie konnten Eis holen. Sie hatten immer Eis essen können. Damals ja der Transport. Ohne Styroporschachteln. Das Eis war nach 5 Minuten schon ein Brei. Die Mutter hatte sie immer mit einer im Eiskasten gekühlten Schüssel Eis holen geschickt. 2 junge Frauen an einem Tisch. Sie bekamen gerade ihren Eiskaffee serviert. Sie schauten die hoch aufgetürmten Schlagobersgipfel an. Kicherten. Sie nahmen die langen Löffel. Die eine fuchtelte mit dem Löffel herum. Die andere lachte. Die jungen Frauen trugen Tops mit Spaghettiträgern. Dottergelb und rosa. Kurze bunte Röcke. Sandalen mit sehr hohen Absätzen. Sie waren gebräunt. Überall gleichmäßig. Nirgends eine Stelle weißer Haut. Ein weißer Streifen. Die Haare duftig hinauf getürmt. Selma spürte den Schweiß im Genick. Sie hätte die Haare wenigstens. Sie fühlte sich dunkel. Beim Vorbeigehen. Sie ging auf die Kreuzung zu. Wie eine Witwe. Wie eine sehr alte Frau. Wie eine Person in Trauer. Sie ging schnell. Das Futter der Jacke bei jeder Bewegung klebriger. Sie hatte Grün. Sie musste nicht stehen bleiben. Sie ging weiter. Über die Florianigasse. Aber das bin ich ja, sagte sie sich. Ich bin eine Witwe. Die Witwe meines eigenen Lebens. Das Bild gefiel ihr. Sie trug dieses Bild in sich. Den Kopf hoch erhoben. Den Kopf ins Genick gestemmt. Die Schultern zurückgezogen. Sie ging. Wenigstens war niemand vom Büro im Eissalon gesessen. Sie war oft hier heraufgekommen. In der Mittagspause. Auf einen Eiskaffee. Mit der Puntschi. Und der Kathi. Und auch mit der Clara. Sie waren dagesessen und hatten genauso gekichert. Über die riesigen Schlagoberstürmchen. Und wie man das essen sollte. Sie hatten auch miteinander so geflirtet. Dass das zu viel wäre. So viel Schlagobers könne man nicht essen. Dass wäre nun wirklich tödlich für die Figur. Sie waren dagesessen und hatten dieses frauenfreundschaftliche Flirttraining absolviert. Hatten alle Argumente durchgespielt. Und die Clara war dann gegangen und hatte ihre Trainingseinheit auf den Intendanten angewandt. Der Ärger quoll so schnell hoch. Selma musste sich zwingen, nicht stehen zu bleiben. Sie ging weiter. Langsamer. Zwang sich Schritt für Schritt. Ruhe. Sie befahl sich Ruhe. Ruhig zu bleiben. Sich auf das Gehen zu beschränken. Den Ärger
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