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Engelskraut

Engelskraut

Titel: Engelskraut
Autoren: Gmeiner-Verlag
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rechtzeitig Einhalt geboten werden, überschüssige Triebe trimmte er mit Sachverstand, damit sie den anderen Pflanzen nicht Luft und Nahrung nahmen. Pflanzen waren, genau wie Menschen, Individuen mit eigenen Bedürfnissen, die es zu beachten galt und denen man Zuwendung schenken sollte. So musste man auf den richtigen Standort achten, darauf, ob die Pflanze im Halbschatten oder besser in der prallen Sonne gedieh, und auch sonst galt es, ihre Eigenarten zu bedenken.
    Von jeher war er bestrebt, seinen Teil dazu beizutragen, die Natur in dem ihm möglichen Umfeld zu erhalten. Er hatte seinen Garten fachmännisch angelegt, Bäume und Sträucher breiteten sich ihrem Wuchs gemäß aus und würden in Kürze, wie jedes Jahr im Frühling, eine üppige Blütenpracht tragen. Ein kleiner Teich, in dem im Sommer weiße und rosafarbene Seerosen blühten, war idealer Tummelplatz für Libellen und Schmetterlinge. Dem Wildkraut rückte er im angemessenen Maß zu Leibe. Insofern gehörten Disteln für ihn nicht unbedingt zum Unkraut, das es zu tilgen galt. Ungehindert ließ er einige zu hohen Pflanzen mit wunderschönen lilafarbenen Blüten heranwachsen. Dieser Tatsache hatte er wahrscheinlich zu verdanken, dass der Distelfink sich in seinem Garten niedergelassen hatte.
    Die Natur gibt dem Menschen so viel, sie gibt ihm Nahrung, Heilung und Kleidung, da ist es nur recht und billig, dass man mit seinen Mitteln der Natur einen kleinen Teil davon zurückgibt. Darin war er mit seiner Frau im Großen und Ganzen einer Meinung gewesen.
     
    Drüben auf dem Nachbargrundstück war noch immer alles ruhig. Seit die neuen Besitzer, eine Apothekerfamilie, eingezogen waren, hatte sich einiges verändert. Mit Genugtuung bemerkte er gelbe Löwenzahnblüten im frischen Rasengrün und die kriechenden Blattreben des Engelskrauts, das sich an den Rändern auszubreiten begann. Wenn dies niemand verhinderte, würde es bald den Rasen gänzlich durchwuchern.
    Schmunzelnd dachte er an seine stets wiederkehrenden und nicht ganz ernst zu nehmenden Dispute mit Ellie über diese Pflanze mit den kleinen blauen Blüten, die sie liebte und ihm strengstens verbot, diese auszurupfen. Engelskraut sei ein Fantasiename, den sie sich ausgedacht hätte, hatte er stets behauptet. Das Kraut heiße Gundelrebe oder Gundermann. Lateinisch Glechoma hederacea. Und es habe seine Tücken. Deshalb müsse man es rechtzeitig entfernen.
    ›Es spricht der Buchgärtner‹, antwortete sie stets auf solche Kommentare. ›Für mich heißt es Engelskraut, weil meine Mutter und meine Großmutter es so nannten. Empirie spricht noch immer eine deutlichere Sprache als reines Buchwissen‹, belehrte sie ihn mit spöttischer Miene und versuchte wie so oft, ihm die Vielseitigkeit dieses Wildkrautes nahezubringen, dessen Heilkräfte sie nicht genug loben konnte. Oft schmuggelte sie Engelskraut in Suppen und Soßen und machte sogar Limonade draus, die die Kinder liebten und er verabscheute.
    Für Marie und Charlotte wand sie Kränze aus den langen Reben, die sie auf die Kinderköpfe setzte, sich auf die alten Germanen berufend, denen das Engelskraut als heilig galt. Wenn man einen solchen Kranz am Sonnwendtag trüge, so ihre Worte, mache es sensibel und hellsichtig. Es war erstaunlich, dass sie, deren Intelligenz er ansonsten schätzte, solchem faulen Zauber Glauben schenkte. Natürlich hatte das Kränzewinden nichts genützt, besonders sensibel und hellsichtig waren die Töchter nicht geworden. Er seufzte laut auf. Aber was würde er darum geben, sich ein weiteres Mal ordentlich mit Ellie wegen ihres Engelskrauts streiten zu können.
    Früher, als die Niemanns hier wohnten, hatten sie beide darüber geschmunzelt, wie dort drüben schon in aller Herrgottsfrühe ausgerupft, gestochen und vergiftet worden war. Das Ergebnis war ein makellos scheinender, jedoch der Natur völlig entfremdeter Garten, dessen Sträucher nach Bubikopfart getrimmt waren, der Rasen präsentierte sich kurz geschoren und überdüngt, sodass nicht mal einem Gänseblümchen die Chance gegeben wurde, hier zu wachsen.
    Für solche Art radikaler Gartenpflege hatte er kein Verständnis. Natürlich ließ er nicht jedes Kraut munter vor sich hin wachsen. So manche Engelskrautrebe hatte er heimlich entfernt, wenn sie sich allzu üppig ausbreiteten. Auch der Giersch war ihm ein Dorn im Auge, ein Unkraut, das schier unausrottbar war. Seine Wurzelausläufer verbreiteten sich in alle Richtungen und zudem vermehrte er sich durch
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