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Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut
Autoren: Andrea Gunschera
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Während sie darauf wartete, dass das System hochfuhr, suchte sie nach dem Fenster im gegenüberliegenden Block.
    Dem
Fenster.
    Es brannte noch Licht. Ihre Haut kribbelte. Schwach zeichnete sich die Silhouette eines Mannes hinter den Vorhängen ab. Sie konnte nicht sagen, was an diesem Umriss sie so elektrisierte, aber seit sie vor ein paar Wochen eingezogen war, suchte sie jeden Abend nach dem Schatten auf der anderen Seite. Das Gebäude war ein ehemaliges Bürohochhaus aus den vierziger Jahren mit einer prachtvollen Stuckfassade, das nun Appartements beherbergte. Es grenzte an das etwas heruntergekommene Hotel Figueroa und einen unbeleuchteten Parkplatz auf der anderen Seite.
    Während der langen Abende am Fenster hatte Eve zu spekulieren begonnen. Vielleicht war er Künstler. Ein paarmal hatte sie geglaubt, ihn vor einer Staffelei stehen zu sehen.
    Rasch verkabelte sie die Kamera mit dem Laptop, stand auf und schaltete die Lampe aus. Der Monitor warf eine blaue Reflexion auf den Teppich.
    Eve beobachtete das erleuchtete Fenster. Die Silhouette blieb lange unverändert, bis sich der Mann plötzlich aufrichtete und die Vorhänge zurückzog. Er stieß einen Fensterflügel auf und lehnte sich hinaus. Eve registrierte, dass er bis zu den Hüften nackt war. Der Lichtschein in seinem Rücken ließ seine Konturen ätherisch erscheinen. Zum ersten Mal erfasste sie mehr von ihm als nur seinen Umriss. Ob er von ihr wusste? Sie bezweifelte es.
    Wind zerrte an den Vorhängen. Er streckte einen Arm aus und fing den Stoff mit der Hand.
    Eve legte ihre Finger gegen die Glasscheibe und stieß lautlos den Atem aus. Der Mann auf der anderen Seite stand reglos. Sie glaubte zu erkennen, wie eine Böe ihm Haarsträhnen ins Gesicht wehte. Ihre Kehle schmerzte, etwas brannte in ihr. Es schmeckte nach Sehnsucht und Leere. Es war eine Wunde, die mit der Trennung von Mark aufgerissen war und einfach nicht heilen wollte. Sie starrte hinüber zu dem Fremden, dessen Körper sich schlank und kräftig gegen das hell erleuchtete Fenster abhob. Als er die Vorhänge zuzog und sich abwandte, verspürte Eve leises Bedauern. Einen Augenblick später erlosch das Licht.

2
    D ie Stadt der Engel umfing ihn mit tausend Gerüchen. Nie zuvor hatte Kain einen Ort betreten, der so brodelte vor Energie. Er hatte sich die Suche leicht vorgestellt, hatte geglaubt, dass er nur einen anderen seiner Art finden müsste, und sich von ihm führen lassen, ins Herz der Dunkelheit. Aber Los Angeles unterschied sich von anderen Orten. Kain witterte viele seines Blutes, doch sie folgten nicht einem einzigen Meister. Wie Nachtfalter trieben sie durch die Schichten der Stadt, mit Zielen so zahlreich wie tausend Straßen. Er würde suchen müssen.
    Kain stützte sich von der Matratze hoch und starrte aus dem Fenster. Die Suite im Ostturm des Westin Bonaventure war geräumig und luxuriös möbliert. Dieses Hotel am Bunker Hill, ein abstoßender Betonklotz an der Auffahrt zum Harbour Freeway, offerierte innerhalb seiner Mauern erstaunlichen Komfort.
    Er drehte sich um und betrachtete die Hure, die neben ihm eingeschlafen war. Sie hatte das Laken über die Brüste gezogen, ihr Haar kringelte sich auf dem Kopfkissen. Kain atmete ihren Duft ein. Einen langen Moment schwelgte er in der Vorstellung, sie zu schmecken. Er senkte den Kopf und legte seine Lippen an ihre Kehle. Seine Zunge tastete über ihre Haut, erspürte das Pochen ihres Herzens. Sein Atem zitterte vor Begierde. Mit einem Stich Bedauern rang er seine Schwäche nieder und zog sich zurück. Wenn er sie tötete, müsste er ihre Leiche verschwinden lassen, und der Aufwand rechtfertigte nicht das Vergnügen.
    Kain rollte sich vom Bett und trug seine Kleider ins Wohnzimmer. Auf dem Display seines iPhones fand er eine Nachricht. Er überflog den kurzen Text, der mit V unterzeichnet war. V stand für Vitali, einen Anwalt in Boston, der einzigen Person, mit der ihn so etwas wie ein Vertrauensverhältnis verband. Vitali verwaltete Kains Vermögen und verhandelte seine Aufträge.
    Die SMS gab ihm einen Namen und eine Adresse in Santa Monica. Vitali wusste, dass Kain sich in Los Angeles aufhielt, und Kain schätzte den Sinn seines Vermittlers für praktische Arrangements. In der Nachricht stand nichts über den Preis, und auch nichts über den Auftraggeber. Aber Kain interessierte sich nicht für Namen oder Beweggründe seiner Kunden, und er wusste, dass Vitali eine angemessene Bezahlung sicherstellen würde. Hinter den Fenstern
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